Zahltag
finden augenblicklich Bestätigung.
»Es ist nun keineswegs erwiesen, dass die Bürger nur deshalb ihre
Steuern zahlen, weil sie von diesem selbsternannten nationalen Steuereintreiber
bedroht werden«, antwortet der Vizeminister. »Höchstwahrscheinlich hat sie der
von der Regierung ausgeübte Druck dazu gebracht.«
»Und wieso hat dieser Druck so lange keine Wirkung [226] gezeigt und in
den letzten zehn Tagen plötzlich doch?«, fragt der Kommentator.
»Darauf gibt es eine einfache Antwort«, erwidert die Moderatorin dem
Kommentator und wendet sich an den Politiker. »Wie Sie wissen, Herr Minister,
korrespondiert dieser nationale Steuereintreiber mit seinen Opfern. Mit
Sicherheit hat er nicht nur diejenigen angeschrieben, die er dann ermordet hat,
sondern auch die, die schließlich gezahlt haben. Sie müssen also einfach nur
die Steuerzahler fragen, die nun plötzlich ihrer Pflicht nachgekommen sind, ob
sie in ihrer Post ein Briefchen vorgefunden haben, und zwar nicht etwa die
Zahlungsaufforderung des Finanzamtes, sondern das Mahnschreiben des Mörders.
Nur so werden Sie herausfinden, ob die wundersamen Überweisungen dem nationalen
Steuereintreiber zu verdanken sind oder nicht.«
Prima Idee, stimme ich innerlich zu.
»Die griechische Regierung, Frau Fosteri, ist von den Bürgern
demokratisch gewählt«, erwidert der Vizeminister. »Sie ist nur dem Parlament
Rechenschaft schuldig und macht sich nicht mit Mördern gemein.«
Hierauf schließt sich das Fensterchen mit dem Politiker, und die
Moderatorin sagt mit Blick in die Kamera: »Sie hörten die Stellungnahme des
stellvertretenden Finanzministers. Die Schlussfolgerungen bleiben ganz Ihnen
überlassen.«
»Genau das habe ich dir kürzlich zu erklären versucht«, meint
Adriani. »Du solltest ihn nicht so gnadenlos jagen. Wer weiß, vielleicht könnt
ihr mit seiner Hilfe eure Zulagen retten.«
Ich komme nicht mehr dazu, ihr zu antworten, denn das [227] Telefon
läutet. »Haben Sie das gesehen?«, höre ich Gikas’ Stimme am anderen Ende.
»Ja. Der treibt nicht nur die Staatseinnahmen in die Höhe, sondern
auch die Einschaltquoten.«
»Haben Sie gehört, was der Vizeminister gesagt hat?«
»Mhm.«
»Gut, morgen können Sie ihn aus nächster Nähe erleben. Um neun Uhr
werden wir von unserem obersten Chef erwartet. Da muss ich keine
hellseherischen Fähigkeiten haben wie Sie, um zu prophezeien, dass auch der
Vizefinanzminister dabei sein wird.«
Der morgige Termin setzt mir weit weniger zu, als Gikas meint. Zwar
ist die Verfolgung des Mörders nach wie vor unsere Aufgabe, doch der größte
Druck lastet jetzt nicht mehr auf uns, sondern auf der Politik.
[228] 30
Koulas Anruf erreicht mich, während ich auf der Katechaki-
zur Messojion-Straße fahre.
»Die Ministerrunde ist auf heute Nachmittag verschoben worden, Herr Kommissar.«
Ich biege nach rechts zum Sanatorium Apollon ab, um am
Rot-Kreuz-Krankenhaus vorbei auf den Kifissias-Boulevard zu gelangen. Nach
meiner Ankunft im Präsidium eile ich schnurstracks zu Gikas’ Büro. Mich
interessiert, ob irgendein neuer Vorfall der Grund für die Terminverschiebung
ist.
»Ist er zu sprechen?«, frage ich Stella.
»Ja. Aber… kann ich Sie kurz etwas fragen?«
»Na klar.«
»Was habe ich Ihnen getan, Herr Kommissar, dass Sie so abweisend zu
mir sind?«
Ihre Frage kommt völlig unerwartet und bringt mich entsprechend in
Bedrängnis. Doch sie bietet auch eine gute Gelegenheit, unser Verhältnis ein
für alle Mal zu klären. »Das haben Sie richtig beobachtet, und ich erkläre
Ihnen gerne, was mich stört«, sage ich. »Wir alle hier rennen uns die Hacken ab,
während Sie auf Formalitäten herumreiten. Außerdem hat es mich irritiert, dass
Sie meinen Assistenten die Durchführung eines Disziplinarverfahrens angekündigt
haben. Das ist nicht Ihre Aufgabe, ganz abgesehen davon, dass es noch nicht
einmal offiziell eingeleitet wurde.«
[229] »Ich habe es doch nur gut gemeint, damit sich die Kollegen darauf
einstellen können.«
»Ja, aber Sie haben sie grundlos in Aufregung versetzt. Am Ende war
ja dann keine Rede mehr davon.«
»Ich bemühe mich, meine Arbeit so korrekt wie möglich zu erledigen,
aber das geht immer nur nach hinten los«, beschwert sie sich.
»Lassen Sie sich eins gesagt sein, und dabei spreche ich aus
Erfahrung: Wenn Sie sich hier bemühen, Ihre Arbeit so korrekt wie möglich zu
erledigen, kommen Sie in Teufels Küche.«
»Da könnten Sie recht haben«, erwidert sie mit einem
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