Zahltag
Auflachen. Ich
stimme in ihre Heiterkeit ein, und das Missverständnis ist aus der Welt
geräumt. »Kann ich zu ihm?«, frage ich.
»Ja, er ist allein.«
Gikas steht am Fenster und betrachtet den Straßenverkehr auf dem
Alexandras-Boulevard. Anscheinend hat er genug von den Naturbetrachtungen auf
seinem Computerbildschirm und wendet sich lieber wieder dem urbanen Leben zu.
»Warum ist die Besprechung verschoben worden? Ist etwas passiert?«,
frage ich.
»Tja, nach der Sendung von gestern Abend herrscht Panik. Unser
oberster Chef konferiert gerade mit dem Finanz- und dem Justizminister. Da
solche Treffen nichts Gutes verheißen, machen Sie sich besser auf einiges
gefasst.«
In solchen Dingen habe ich vollstes Vertrauen in Gikas’
Urteilsvermögen. Daher wende ich mich zum Gehen und fahre zu meinem Büro
hinunter. Prompt finde ich die [230] Journalisten an ihrer üblichen Position auf
dem Korridor vor. Ich spare mir, sie hereinzubitten, da sie mir ohnehin folgen.
Wie üblich treten sie sich in meinem engen Büro auf die Füße.
»Was wollen Sie denn hier? Gibt’s noch offene Fragen?«, wundere ich
mich.
Sie wechseln überraschte Blicke. »Wir sind überhaupt nicht auf dem
Laufenden«, meint die kurze Dicke, die normalerweise rosa Strümpfe trägt, heute
jedoch zu Grün gegriffen hat.
»Ja, hat Sie denn unser Pressesprecher nicht informiert?«
Verdattert blicken sie sich an. »Welcher Pressesprecher?«, fragt die
Dürre.
»Na, unser Mörder. Der verteilt doch jetzt die offiziellen
Verlautbarungen.«
Meinen Scherz findet niemand lustig, nur Sotiropoulos schüttelt sich
vor Lachen.
»Schön, dass Sie so gut gelaunt sind, Herr Kommissar«, sagt der
junge Mann in Jeans und T-Shirt. »Dann können Sie uns ja gleich Näheres zum
Fortgang der Ermittlungen sagen.«
»Stimmt es, dass es ihm gelungen ist, 7,8 Millionen Euro an Steuern
einzutreiben?«, fragt die kurze Dicke.
»Laut Auskunft des Amtes für Steuerfahndung, ja.«
»Aber wo hat er die Daten her?«
»Das müssen Sie das Amt für Steuerfahndung oder das Finanzministerium
fragen. Für die Finanzämter bin ich nicht zuständig.«
»Wo stehen Sie mit Ihren Ermittlungen?«, fragt die Dürre.
»Hört mal her, Leute, ich will ganz aufrichtig sein, aber [231] das
habt ihr bitte schön nicht von mir: Momentan tappen wir völlig im Dunkeln.
Nicht nur, dass wir keinen einzigen Hinweis auf die Identität des Mörders
haben, wir wissen nicht einmal ansatzweise, was sein Motiv sein könnte.«
»Also gibt es noch ein anderes Motiv?«, wundert sich die Dürre.
»In all meinen Dienstjahren bei der Polizei ist mir noch nie ein
Mörder untergekommen, der tötet, um für den Staat Geld einzusammeln. Deshalb
muss es noch ein anderes Motiv geben, das wir leider noch nicht aufdecken
konnten.«
»Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass die Polizei im Blindflug
unterwegs ist«, bemerkt die Dürre bissig.
»Nein, und es wird auch nicht das letzte Mal sein«, halte ich
dagegen. »Vorläufig kann ich nichts weiter sagen.«
Nachdem sich mein Büro geleert hat, nimmt Sotiropoulos mir gegenüber
Platz.
»Dieser Typ ist genial, Hut ab!«, sagt er.
»Sie haben leicht reden. Wenn wir ihn nicht bald haben, rollen hier
die Köpfe.«
»Wenn Sie mich fragen, ist es jemand, der sich vom Finanzamt
ungerecht behandelt fühlt.«
»Toller Tipp! Neun von zehn Griechen sind felsenfest davon
überzeugt, dass ihnen das Finanzamt unrecht tut. Wo sollen wir da mit der Suche
anfangen?«
»Na kommen Sie, so viele brave Steuerzahler gibt es in Griechenland
auch wieder nicht. Einer der wenigen ist der Meinung, dass ihm Unrecht
geschieht, und rächt sich dafür an den säumigen Zahlern.«
Der Gedanke ist nicht von der Hand zu weisen, doch er erklärt weder
das Schierlingsgift noch die Ausstellung der [232] Leichen auf archäologischen
Stätten. Gut, es wäre nicht das erste Mal, dass einer, der sich ungerecht
behandelt fühlt, zum Mörder wird. Aber so jemand hätte doch zu einer
Schusswaffe gegriffen, nicht zu Schierling. Er hätte sich wohl kaum die Mühe
gemacht, seine Opfer zum Kerameikos-Friedhof und nach Eleusis zu schaffen.
»An Ihrer Stelle würde ich all diejenigen überprüfen, die wegen
Steuerschulden in Haft waren und kürzlich freigelassen wurden«, meint
Sotiropoulos, bevor er sich verabschiedet.
Dieser Idee kann ich einiges abgewinnen und beschließe, sie
unverzüglich umzusetzen. Sotiropoulos kann einem zwar lästig sein, aber er ist
lange im Geschäft. Außerdem
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