Zander, Judith
von Putlitz aus sind wir mitm Pferdewagen von unsre
Nachbarn oder notfalls auch zu Fuß, aber Bresekow war ja nu noch n Ende weiter
weg, und Simon war das auch nich mehr so wichtig mitte Zeit, wir hatten auch so
genug zu rennen. Zu Weihnachten, ja, da sind wir immer hin, aber bloß, wenn nich
so hoch Schnee lag. Und bei Rosi und Bärbel haben wir das noch gemacht mitte
Kommunion, die wollten das auch unbedingt, weil sie denn ja ein schönes Kleid
kriegten, so wie bei mir früher, also Rosi hat eins gekriegt, und das haben wir
denn aufgehoben, bis Bärbel so weit war, die könnt das denn noch mal anziehen,
das hatte sich denn wenigstens gelohnt. Bei Hartmut haben wir uns das gespart,
und er wollt ja auch gar nich, er wollt lieber Jugendweihe wie alle andern. Und
das war auch besser, er sollt ja auch studiern. Bloß Tierarzt wollt er nu
partout nich werden, da war er nich ranzukriegen.
Und ich glaub, dein Peter
wollt nu auch kein Bauer werden, aber was Bessres is er deshalb auch nich
geworden. Und Theo wollt ja mit euch am liebsten ganz weg aus Bresekow, nach
Demmin oder Neubrandenburg oder was weiß ich. Weil da ja nu alles kaputt war,
und da, dacht er, könnten sie ihn vielleicht gut gebrauchen, dass er da
vielleicht gut Geld verdienen könnt. Du wolltst das nich, das hab ich gleich
gemerkt, dass du nich von hier wegwolltst. Und da wusstest du nu wohl nich, wie
du ihm das ausreden sollst. Anna, wie du mir das so erzähltest, da hab ich nich
zum ersten Mal gedacht, dass das nich das Wahre is mit euch beiden, dass ihr
vielleicht nich so gut zusammenpasst. Aber gesagt hab ich das nich. Vielleicht
gibt sich das mitte Zeit, hab ich gedacht.
Aber denn is er nich
wiedergekommen aus Berlin. Und du hast nix gesagt. Vielleicht hast du das erst
selber nich geglaubt. Sonst wärst du vielleicht auch nich zur Polizei gegangen,
wie er eine Woche später immer noch nich wieder da war. Später hast du gesagt,
dass dir gleich was geschwant hat, dass du aber erst gedacht hast, na,
vielleicht musst er länger bleiben diesmal, und denn hast du dir auch Sorgen
gemacht, weil die Zeit ja grad diese Krawalle waren oder Demonstrationen, wo
sie auf die Straße gegangen sind inne Großstädte, bei uns hat man das ja gar
nich so mitgekriegt, aber da in Berlin war ganz schön was los. Und da hattest du
nu Angst, dass er da irgendwie drin verwickelt wurd, und deshalb wolltst du
auch erst nich zur Polizei, aber das war denn ja auch nich mehr auszuhalten,
diese Ungewissheit, wo er nu abgeblieben war. »Besser eine schlimme Nachricht
als gar keine«, hast du gesagt. Auffer Polizei haben sie dich denn erst mal
ausgelacht, wie du sagtest, du möchtst deinen Mann vermisst melden und er war
zuletzt in Berlin gewesen.
»Tja, Frau März, da kommen so
einige abhanden heutzutage«, hätten sie gesagt.
»Aber mein Mann doch nich, so
is er doch nich«, hättst du gesagt. Da hätten sie bloß mitte Schultern gezuckt.
Wenn sie das immer vorher wussten, wie einer is, denn könnten sie ja was dagegen
unternehmen.
Von den Demonstrationen hätten
sie gar nix gesagt, bis du denn danach gefragt hättest, und denn wären sie
gleich ganz komisch geworden: »Ach so ist das, warum haben Sie das nich gleich
gesagt, dass Ihr Mann einer von denen ist?«
Da hättst du gesagt, weil er
keiner von denen war und du nur wissen wolltst, ob er dabei irgendwie zu
Schaden gekommen war. Wodrauf sie denn gesagt hätten, dass sie sich nich um
jeden kümmern könnten, der sich unvorsichtig verhält, aber wenn er dabei
gewesen war, denn brauchtest du dir keine Sorgen machen: »Denn haben wir uns
schon um ihn gekümmert!« Sie würden dir dann Bescheid geben.
Bloß, dass erst gar kein
Bescheid kam, und wie denn was kam, stand da bloß drin, dass sie ihn nich
gefunden hätten. Dass man daher annehmen müsst, na, ich weiß nich mehr, wie sie
das genau geschrieben hatten. Dass er in Westberlin war. Irgendwas von
»unerlaubt« stand da. Aber helfen könnten sie dir da nu auch nich. Das war ja
nu erst mal n Schlag für dich. »Na, wenigstens kein Knast und kein
Krankenhaus«, hast du gesagt, aber da warst du auch dem Heulen näher als alles
andre. Und ich möcht nich wissen, wie du da in Schlaf gekommen bist, immer mit
diesen Gedanken im Kopp, dass du nu ganz allein dastandst mit die beiden
Kinder. Das hättst du selber nich für möglich gehalten, und ich glaub, das hat
dich am meisten fertiggemacht, dass das so aus heiterm Himmel gekommen war,
dass du da nich vorher was gemerkt hattest.
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