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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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Balken hat einen Hauch deines trostlosen Atems, eins deiner
Moleküle gespeichert? Es muss alles gelöscht worden sein, als du begonnen hast,
dieses Haus aus dir Schicht für Schicht zu löschen, bis es nur noch wie ein
Abziehbild auf einem durchsichtigen Hintergrund klebte, wie die zarten, knittrigen
Blumenbilder auf dem Spiegel in deinem Mädchenzimmer, bunter getrockneter
Schneckenschleim, unberührbar, es muss begonnen haben, bevor du das Haus
verlassen hast. Vielleicht war das der Grund dafür, und wieder verwirren sich
Ursache und Folge, und wieder versuchst du vergeblich, in diesen schlingernden
Kreisen einen Anfang zu erhaschen. Lass das. Verkauf es, so schnell wie
möglich. Es ist deines Bleibens hier nicht länger. Als nötig.
    Als sie weg waren, bist du
gedankenlos zu der Ecke gegangen, in der immer der Besen stand, und du hast ihn
dort, nicht verwundert, gefunden und die Krümel von den Dielen gefegt, »ein
Teppich kommt mir nicht ins Haus, so ein Dreckfänger«, hatte Anna Hanske, ja,
deine Mutter, auch öffentlich, gesagt und gelacht über die Putzteufelinnen,
die nicht ahnten, was in ihren Persern hauste. Dass die sie ihrerseits
auslachten, wenn auch ohne Lust und nur mit Häme, wegen ihrer nackten Dielen,
tat ihrer Heiterkeit keinen Abbruch, im Gegenteil. »Die Nachbarn machen immer
die beste Komödie«, sagte sie. Ja, hast du gedacht, besonders wenn wir die
Nachbarn sind.
    Peter war sofort und
entschieden gegen eine Schenkung, das Wort erschien dir selber maßlos
übertrieben, du hast versucht, es nüchtern, deutlich, rechtlich auszusprechen
bei diesem Telefonat, das dir nach mehr als zwanzig Jahren wieder die Stimme
deines Bruders an dein, in deinem Ohr, wie soll dieser Satz zu Ende gehen? Er
hat dich gefragt, ob du inzwischen mit Akzent sprichst. Du musstest dir
eingestehen, dass du die Stimme nicht sofort und selbstverständlich als die
deines Bruders erkannt hättest. Auch nicht, wenn da noch Spuren des einstigen
Stotterns gewesen wären, mehr, als diese kaum merkliche Achtsamkeit. Du
könntest sagen: Er ist nicht dein Bruder. Und dass du nur deshalb das Wort
>Schenkung< in den Mund nehmen musstest wie ein Fremdwort, das einem dann
peinlich ist, weil der andere es nicht versteht, weil man das vorher wusste.
Dass du nur deshalb sagen musstest: »Ich dachte, du könntest es vielleicht
brauchen.«
    Du hast nicht einen Moment
angenommen, Peter könnte das Haus bewohnen wollen, so ein Wille wäre dir
abwegig vorgekommen, dir. Peter sagte, er brauche nichts, er sei zufrieden mit
seiner Wohnung in Neubrandenburg, es gehe ihm gut. Du hast versucht, dir
vorzustellen, wie gut es ihm geht mit seiner Neubrandenburger Wohnung, in der
er mit seiner Neubrandenburger Frau lebt, von der dir aber nie eine
Vorstellung geglückt ist, und erst recht nicht von seinen zwei Kindern, es
waren doch zwei, oder.
    »Ich dachte, du könntest es
verkaufen«, sagtest du. Peter lachte, und du hast dich durchaus geärgert,
durchaus wie früher, wenn er sich freundlich, überlegen über die abwegigen
Ideen der kleinen Schwester mokiert hatte. Du hattest durchaus den Eindruck,
in seiner brüderlichen Stimme liege eine Zufriedenheit, und zwar darüber, dass
etwas, worauf er lange gewartet hatte, endlich eingetreten sei, als er sagte:
»Nein. Verkaufen kannst nur du es.«
    Er stand allein, ernst und in
Schwarz, im Ankunftsbereich in Tegel, du warst erleichtert, ihn gleich erkannt
zu haben, »it's him«, hast du zu Michael und Paul gesagt und in Richtung des
unbeweglichen Mannes jenseits der Scheibe geblickt, der in deine Richtung sah
und kein Zeichen des Erkennens gab. Dir fiel das Wort > unverwandt < ein.
Du hattest kein schlechtes Gewissen, du fühltest dich mit deinem Unbehagen im
Recht, denn du hattest nachgerechnet, dass die Zeit, die ihr verwandt
miteinander, zum Miteinander verwandt habt, bereits von der Zeit, in der ganze
fünf Briefe als seidene Fäden zwischen euch hin und hergegangen waren und
versucht hatten, das künstliche G estricke zusammenzuhalten, um ein
wenig, aber doch unsagbar deutlich geschlagen worden war. Michael fragte dich,
ob er auch etwas Schwarzes hätte anziehen sollen.»Maybe«, hast du gesagt, und
er murmelte einen Vorwurf. Paul war seltsamerweise völlig in Schwarz, was dir
gar nicht aufgefallen war, weil er oft dunkle Sachen trägt, und du hattest es
aufgegeben, ihm zu sagen, wie blass es ihn mache. Es war nur dumm, weil es nun
aussah, als trüge er es zur stummen Zurechtweisung seiner respektlosen

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