Zander, Judith
krank! Bei mir
reichts noch nich mal für ne Sportbefreiung, und das war echt mal ne Befreiung!
Ich wollt mir sogar mal extra den Arm brechen, aber ich wusste nich wie!«
Ich muss über mich selber
lachen.
»Du bist echt verrückt,
Ella!«, sagt Romy. »Find ich toll. Sag mal, ist dir kalt?«
Sie zeigt auf meine
Winterstiefel. Meine Füße sind am Zerfließen. Ich guck auf ihre
Klapperlatschen. »Nö«, sag ich. Dann gackern wir wieder, die letzten Gänse von
Bresekow, Romy und Ella.
»Zu mir oder zu dir?«, fragt
Romy.
»Zu dir.« Romys Zimmer kommt
mir wie der einzige Ort weit und breit vor, dens noch wirklich gibt. Ich hab
Durst.
Ich frage: »Sag mal, denkst du
manchmal, dass dein Vater gar nicht dein Vater ist?«
Romy guckt mich an. »Wieso?
Ihr seht euch doch total ähnlich!«
Mann! »Das hab ich doch gar
nich gefragt.«
Sie grinst bloß. »Kann man
sich eben nicht aussuchen.«
»Hast übrigens nix verpasst in
der Schule«, sag ich.
»Hätt mich auch gewundert.«
Als sie die Tür aufschließt, sagt sie: »Du hast übrigens auch nix verpasst.«
Ich sag gar nix. Interessiert
mich doch gar nicht. Was die gestern Abend da abgezogen haben oder nicht.
Damit muss sie nun selber klarkommen. Jeder muss mit sich selber klarkommen.
Sie sagt aber nix.
In der Küche trinkt sie aus
der Flasche. Ich trau mich gar nicht, die Stiefel auszuziehen, weil ich Angst
hab, dass meine quaddrigen Füße lauter Abdrücke auf den schönen Dielen machen.
Manchmal ist Teppich doch besser. Wieso sagt man eigentlich >unter den
Teppich kehren Ich glaub, das meiste liegt oben drauf. Kann man bloß nicht
sehen.
»Hast du auch Durst?«, fragt
Romy und hält mir die Flasche hin. Ich trinke, ohne sie abzuwischen. Einen
kleinen Schluck lass ich drin. Einen ganz kleinen, den keiner trinkt.
Wir wandern rüber in ihr
Zimmer, wo ich mich sofort auf das Sofa hau. Romy klappt die Abdeckung vom
Plattenspieler hoch. »Was willst du hören?«
»Frag mich lieber, was ich
nich hören will.«
»Schon klar«, sagt Romy. Sie
blättert in den Platten rum. »Ach, ich weiß auch nich.« Sie seufzt. »Irgendwie
hat man immer das Gefühl, dass einem das, was genau richtig war, fehlt.«
»Und was war genau richtig?«
Ich hab nur so gefragt, aber kaum ist die Frage raus, interessiert mich die
Antwort brennend.
»Tja, das ist es ja grade:
Wenn mans wüsste, hätte mans ja.«
»Oder auch nich«, sag ich, nur
so wieder. Aber Romy starrt mich an, als hätt ich ihr sonstwas an den Kopf
geworfen. Sie zieht eine Platte aus der Hülle und legt sie auf, sie setzt sich
mir gegenüber.
»Wasn das?«, frag ich. Kommt
mir nicht ganz wie das Richtige vor.
»Das vierte Klavierkonzert von
Beethoven.«
Mann, jetzt klingt sie wie
Stiehl! Wie die alle.
»Das mag ich am liebsten.«
Am liebsten wovon, liegt mir
auf der Zunge.
»Magst du Beethoven?« Romy
schiebt mir eine Schale mit Süßigkeiten hin.
»Hast du vielleicht ne
Zigarette?«, frag ich.
»Ella!«, sagt Romy. Wie die
alle. »Nee. Na ja - nee. Ich könnt dir zwar eine von meinem Papa geben, aber
dann riecht das hier ja nachher so verraucht, und meine Mutter ...«
»Wieso, du rauchst doch nich. Oder glaubt
sie dir das nich? Oder petzt sie das dann meinen Eltern?«
»Ach Quatsch. Aber was sie
dann wieder für Bedenken schiebt, auf so was kommt unsereins gar nicht. So
ungefähr, dass ich mir das auch angewöhnen könnte, bloß weil du das machst oder
so, obwohl das ja wohl eher ein Grund war, es nicht zu machen!«
»Wie meinst'n das?«
»Achso, na ja, nicht wegen dir
... Ich mein bloß ... Na, weil Nachmachen doch bescheuert ist. Dieser ganze
Gruppenzwang!«
»Aber rauchen doch alle. Da
kann man doch gar nich mehr sagen nachher, wer angefangen hat.«
»Ach, Ella. - Ich wusste gar
nicht, dass du rauchst.«
»Weiß keiner.«
Romy nimmt sich ein Stück
Schokolade und zerkaut es. Dann noch eins. Sie futtert das weg wie Brot. Und
dabei macht sie auch ein Gesicht, als müsst sie auf trocken Brot rumkauen. Ich muss
an Oma denken, wie die, als ich klein war, immer sagte: »Du möötst dat
lutschen, ganz langsam, dat dat up dine Tung zergeiht - denn hest miehr davun.«
Hat sie natürlich bloß gesagt, weil sie sich nicht vorstellen könnt, dass man
nu mehr als einmal im Jahr Schokolade kriegt. Aber ich hab das so gemacht. Bloß
dass ich da, doof, wie ich nun mal war, gleich drei Stücke auf einmal in'n
Mund gesteckt hab, und denn wurd das son Klumpen, und immer mehr, dass ich
meine Zunge gar nicht mehr
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