Zander, Judith
bewegen konnte, dass ich richtig Muskelkater in der
Zunge davon kriegte, und ich wollt immer was sagen, aber das ging nicht, ich
hab bloß Schokoblasen gespuckt. Danach konnten sie mich mal mit Schokolade, das
zog bei mir überhaupt nicht mehr. Ich stell mir vor, wie das bei Romy aussieht,
im Mund drinnen, wie sie die Schokolade zu ganz kleinen Stücken zerkaut und die
überhaupt nicht schmelzen, weil sie gar nicht dazu kommen. Wie Sägespäne. Das
gefällt mir irgendwie. »Du hast gerne Geheimnisse, oder?«
Wie kommt sie jetzt dadrauf?
Sie lächelt, sie kaut. Das geht nicht zusammen. Sie sagt: »Ich dachte nämlich,
dass du entweder gar keine hast oder ganz viele. Ich hab dadrüber nachgedacht.«
Sie hat über mich nachgedacht.
Was soll das denn? Ich denk doch auch nicht über sie nach. Ich mein, sie kann
ja über mich nachdenken. Kann ich ihr ja nicht verbieten. Aber das dann auch
noch zu sagen!
»Du sagst ja gar nix.«
»Na was denn?«
»Na ja, ob ich recht hab.«
»Ob du recht hast?«
»Ja.«
»Nein.«
»Doch.«
»Gar nich.«
Sie lacht. »Ach, egal. Tut mir
leid, Ella. Vergiss es.«
»Nein.«
»Nein?«
»Du willst doch bloß, dass ich
dir irgendein scheiß Geheimnis erzähl, Romy Plötz!«
»Nein, Ella.«
»Doch! Bloß dass du dich nich
traust, mich richtig zu fragen!«
»Das stimmt doch gar nich!«
»Denkst du, ich bin doof? -
Ich erzähl dir jetzt ein scheiß Geheimnis, so ein richtiges Scheiß-Geheimnis,
und da kannst du dann drüber nachdenken!«
»Nein!«
Es geht sie auch überhaupt nix
an. Es kommt mir nur so komisch auf einmal vor, so was als Geheimnis zu haben.
Als wenn man einen Klumpen Hühnermist in nem Safe aufbewahrt, bloß damit keiner
weiß, dass da ein Klumpen Hühnermist drin liegt. Oder so. Bloß wieso hat mans denn
erst da reingelegt? Also.
»Also - ich war mal ne
Zeitlang öfter auf der Elpe, bei der Elpe. Als ich noch rausgegangen bin. Als
ich noch dachte, dass das mein Dorf ist, ich mein, dass das mir genauso gehört
wie allen andern, als ich das noch nich kapiert hatte. Ich bin da einfach so
rumgelaufen. Na ja, vielleicht doch nich einfach so, ich wollte nich, dass sie
mich sehen, jedenfalls nich immer. - Ich weiß nich, aber ich kann irgendwie
keine Katzen mehr sehen, keine jungen Katzen, wenn die zum ersten Mal rollig
sind, wir hatten ja früher immer welche. Ich mochte das schon damals nich, ich
hatte irgendwie Angst davor. Dass die dann auf einmal so wild sind, wie
verrückt, ich weiß nich, ob du das kennst. Dann haben sie von mir immer was mit
nem Handtuch übergekriegt, oder mitm Besen. Selber schuld, hab ich gedacht, ich
hatte überhaupt kein Mitleid. - Ich bin da rumgelaufen wie sone junge Katze.«
Ich merke, dass Romy nickt.
Ich weiß nicht, wieso.
»Jedenfalls, ich hatte Schiss,
immer son bisschen. Aber nie genug, um nich doch hinzugehn. Es war ja bloß -
ich wollt den ja bloß sehen, Tommy. Stucker, kennst du nich. Kannst du froh
sein. Der gehörte zu dieser Wodrich-Clique, die hatten hier total das Sagen, da
hatten die ganzen Typen, die sich jetzt hier aufspielen, noch gar nix zu
melden. Die sind dann irgendwann auch fast alle gleichzeitig weg hier. Bloß
Wodrich kommt noch ab und zu her. Wenn ich sein Auto stehen seh, da bei uns
schräg gegenüber, dann geh ich nich vor die Tür. Dann geh ich nich mal den Müll
rausbringen, und wenn Mutti sich aufn Kopp stellt. Komisch, früher war ich gar
nich zu Hause zu halten. Da wollt ich immer bloß raus, und immer bloß, um
diesen verdammten Stucker zu sehen. Mann, war man doof, oder, ich mein, ich
weiß nich, ich könnt mich ohrfeigen, jeden Tag.
Na ja, manchmal haben sie mich
dann gesehen, manchmal nich, manchmal hat Tommy mich angeguckt, mit diesem
Blick, diesem Stucker-Blick, den haben die doch alle, die ganze verfluchte
Sippe, aber das is mir erst hinterher aufgefallen. Einmal hat er mich
angegrinst. Ich dacht, das isses. Nächstes Mal bin ich bis zur großen Halle
gegangen. Wo sie jetz abends sitzen, wo du gestern warst. So doof, eh.
Mannomann.«
Romy guckt mich fragend an.
Ich weiß nicht, ob ich das richtig erzähle. Ob sie das kapiert. Ob man das
überhaupt richtig erzählen kann. Wie soll sie das denn kapieren?
»Das war genau zwei Tage nach
meinem vierzehnten Geburtstag. Vielleicht war das bei dir ja anders. Aber ich
dachte, nu kann eigentlich mal was Richtiges passieren. Ich weiß noch, dass ich
Zahnschmerzen hatte an dem Tag. Aber das hat mich gar nich gejuckt. Ich bin zur
Halle hin. Da hat er mich
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