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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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genug Gegenbeweise. Seit ner Weile hab ich eher das
Gefühl, ich könnte bei ihm reingucken. Zum Beispiel kann ich da ganz genau
sehen, dass er bis heute keinen blassen Schimmer von der Sache mit dem
Thermometer hat. Ich frag mich, wie er auf die Art Lehrer sein kann. Thorsten
hat das übrigens nie gemacht. Der hat sich bloß immer eins gegrinst, wenns bei
mir mal wieder so weit war. Wenn ich morgens aufgewacht bin und gewusst hab:
heut kann ich auf keinen Fall zur Schule. War ja eigentlich auch ne Art
Krankheit.
    Irgendwann hab ich denn aber
aufgehört damit, war mir dann zu affig. Vielleicht hatte das auch was damit zu
tun, dass sie uns damals diesen Film gezeigt hatten, gleich in der Sechsten. Son
Aufklärungsfilm, ich glaub, der war noch gar nicht für uns, aber wahrscheinlich
haben sie gedacht, sicher ist sicher, und das war ja auch kurz nach der Wende,
und da dachten die vielleicht, das muss jetzt so sein, jetzt machen wir das wie
im Westen. Keine Ahnung, ob sie das im Westen so machen. Jedenfalls, man wusste
nicht so richtig, ob man sich nun ekeln oder totlachen soll, irgendwie beides.
Die meisten hatten bestimmt Alpträume danach. Ich hatte welche. Ich mein,
unsere Eltern wären aus allen Wolken gefallen, wenn man denen gesagt hätte, sie
mussten uns jetzt langsam mal paar reale Sachen erklären. Man wusste zwar son bisschen
was, aber nicht so genau.
Ich hatte ja auch Thorsten manchmal nackig gesehen. Aber nicht so. Und zu der Zeit sowieso nicht
mehr, da hat er immer die Badtür hinter sich abgeschlossen, was besonders Mutti
nicht in Kopp wollte. Ausgerechnet wenn er im Bad war, musste sie da auch
unbedingt rein, und wieso er sich denn so hat. Furchtbar peinlich. Ich hab dann
auch immer abgeschlossen, obwohl ich das eigentlich noch nicht brauchte.
    Das mit dem Film ist übrigens
auch nie rausgekommen. Weil wahrscheinlich keiner wusste, wie er das zu Hause
erzählen soll. Was dann wieder den Nachteil hatte, dass wohl jeder früher oder
später noch mal sone private Aufklärung über sich ergehen lassen musste. Unter
vier Augen. »Ella, kommst du mal?« Als wenn es jetzt gleich Gemecker und
irgendeine Strafe geben würd, und das war auch wie ne Strafe, bloß wofür. Wahrscheinlich
auch schon mal vorbeugend, für alle »Dummheiten«, die damit zu tun haben. »Mach
keine Dummheiten«, das wurd ja bei jeder Gelegenheit gesagt. Aber anders als
früher wusst ich danach genau, was Mutti damit meinte, schon wie sie guckte,
wenn das zum Beispiel auf Klassenfahrt ging. Vielleicht hab ich das alles bloß
deshalb gemacht. Aus Rache. Dafür, wie sie mich bei ihrem Aufklärungsunterricht
zwischendurch angegrinst hat, immer wenn sie dachte, dass sie mir nun grade was
besonders Schockierendes erzählt hat. Das hat ihr nämlich Spaß gemacht. Und
ich musste mir das alles von Anfang bis Ende anhören und konnte nicht sagen,
ich weiß, weil, denn war das Grinsen aber sofort weg gewesen, und immer noch
besser das, als gefragt zu kriegen: woher? Das mit dem Film hätte sie mir gar
nicht geglaubt, und wenn doch, dann hättes Strafe dafür gegeben, dass ich das
nicht eher gesagt hab. Das war alles viel schlimmer als der Film, sogar
schlimmer als diese Szene, wo einer sich einen runterholt, also >masturbiert<,
und wo sie seinen Schwanz ganz groß im Bild zeigen, und weswegen ich das dann
vielleicht nicht mehr mit dem Fieberthermometer gemacht hab. Das war dieselbe
Bewegung. Das Wort schoss mir wochenlang im Kopf rum, >Masturbation<, bei
den blödesten Gelegenheiten, als wenn dir einer plötzlich ganz kurz in die
Magenkuhle haut. Ich glaub, das war mein erstes Fremdwort. Ich hab mich
gefragt, ob es bei Mädchen so was auch gibt, aber wie denn? Das haben sie nicht gezeigt. Das
musste man erst selber rauskriegen.
    Komisch, aber Paul ist der
Erste, bei dem ich nicht sofort an seinen Schwanz gedacht hab. Ich kann nix
dagegen machen. Immer wenn mir einer n bisschen länger vor die Linse kommt oder
ich mit ihm reden muss, hab ich plötzlich seinen Schwanz im Kopp, und das wars.
Scheißegal, was er macht oder was er so von sich gibt, ich kann dann nicht mehr
zuhören, ich ekel mich nur noch. Vielleicht nicht ekeln, aber irgendsowas,
wovon einem alles vergeht. Sogar wenn er nett ist. So wie letztes Jahr mal
dieser Tobias Schneider, der kannte mich ja auch nicht. Der hat das echt
geschafft, mir eine von seinen Schülerzeitungen anzudrehen, bloß weil er
irgendwas gesagt hat, wodrüber ich lachen musste. Aber wie ich ihm dann das
Geld gegeben

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