Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
Vom Netzwerk:
dieses
Desinteresse oder wie man es nennen soll, hattest du auch ein paar Jahre später
nicht abgelegt. Es war dir undenkbar gewesen, dass du, du, überhaupt in so
einen Zustand hättest geraten können, den du jetzt - nun ja, befürchtetest ist
schon ein zu straffes Wort, dafür war die ganze Vorstellung kaum real genug.
Warst du mit Roland zusammen gewesen, in jenen kurzen Stunden, kurz und klein,
hattest du nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, in der gleichen
Manier, wie du keinen Gedanken an die Zukunft verschwendetest. Es traf doch gar
nicht auf dich zu.
    Deine Mutter fing an, mit dir
in Betriebe zu gehen, zur HO, zu K onsum , ihr fuhrt bis nach Pasewalk.
Du warst zu spät dran, das hörtest du immer wieder. Du hättest es einfach sagen
können, und dieses Unterfangen wäre fürs Erste gestorben gewesen. Aber du
konntest nicht. Normalerweise sahst du keine Notwendigkeit, deine Apathie zu
unterfüttern mit Beweggründen, diesmal versuchtest du, dir dennoch damit zu
kommen. Du warst dir nicht sicher. Deine Mutter hätte dich umgehend zum Arzt geschickt,
am Ende wäre dabei herausgekommen, dass es noch nicht zu spät sei. Aber du
kanntest dich längst zu gut: nämlich nicht als Typ für eine Rettung in letzter Sekunde.
Jedes Sofort überforderte dich seit jeher, lähmte dich derart, dass du es regelmäßig
hinbekamst, alles zu vermasseln. Was daran nun noch zu vermasseln wäre,
überlegtest du dir gar nicht erst, auch wogst du deiner Gewohnheit folgend eine
Überforderung nicht gegen eine andere ab, nicht die deutlich sichtbare, aber
vorübergehende gegen die andere, der du kein weiteres Attribut zuzuordnen
wusstest. Hatte man dich nicht gelehrt, Unsichtbarkeiten gleichzusetzen mit
Unmöglichkeiten?
    Es war zweifellos auch so:
Sollte sich die Zukunft leider doch wieder als zu wenig unsichtbar erweisen -
du musst es schon als Kind aufgegeben haben, über das Unmittelbare
hinauszudenken, geradezu eine Unfähigkeit, die du da entwickelt hattest, eben
weil alles doch immer so gekommen war, wie du es befürchtet hattest - so würde
wenigstens ein Teil davon als Provisorium ausfallen, aufhebbar sein. Die
Lehre, deren Eintreten dir im Grunde kaum wahrscheinlicher schien. Dein
fortschreitender Zustand würde dich verlässlich suspendieren, vielleicht für
immer, aufgeschoben franste bei dir stets aus in >aufgehoben<. Es konnte
allerhand passieren, nicht wahr.
    Du nahmst es daher ohne
sonderliche Gemütsregung auf, als sich herausstellte, dass lediglich die L andwirtschaftliche P roduktionsgenossenschaft willens war, dich in ihre Reihen
aufzunehmen und zu einem Agrochemiker heranzubilden. Wärst du früher überredbar
gewesen dazu, quasi freiwillig in den sozialistischen Gang mit der
»Landwirtschaft unserem wichtigsten Standbein« verfallen, wärst du öffentlich
belobigt worden vor der Klasse, so wie Christa Pohley, die Wirtschaftskaufmann
wurde und einziger Lehrling im LPG-Büro deiner Mutter, wo hinter jedem der
fünf Fenster eine Dauerwelle blühte. Du konntest immer noch in der Gärtnerei
anfangen, nächstes Jahr. Als du die Knöpfe an deinen Hosen versetzen musstest,
begannst du zu ahnen, womit du dir diese Gelassenheit erkauftest. Nächstes
Jahr! Wie kamst du dazu, ausgerechnet jetzt so zu tun, als glaubtest du an so
einen Unfug wie das Vergehen der Zeit. Nächstes Jahr gab es dich doch gar
nicht. Es würde ein Kind geben, eventuell, von Roland Möllrich. Von Roland, mit
dem du in den Wiesen gewesen warst, und im Park, eins von beiden musste man als
Ursache annehmen, was, war letztlich gleichgültig. Es war deine Dummheit und
deine Schuld, und beides fraß schon jetzt so sehr, dass du die berechtigte
Hoffnung hegtest, es würde dich am Ende gänzlich zerlegen. Es würde Roland
Möllrichs Kind geben. Wie konnte es da dich geben. Wo ein Körper ist, kann kein
anderer sein, auf die Dauer. Du träumtest nicht von Schlupfwespen und Ähnlichem.
Sie schwirrten dir am hellichten Tag durch den Kopf. Du erinnertest zwei Dinge
über sie, einerseits das, andererseits: Sie waren nützlich. Ein Wort, das man
nie ganz von der Zunge bekam. Es reimte sich prima auf Möllrich, auf
Bürgermeistersöhne, die man in der E rweiterten O berschule trotz erweiterter Bildung
nicht lange würde bereden müssen, ein Papier zu unterschreiben. Welches auch
immer. Es fand sich für jeden etwas, Nützliches. So viel Bissigkeit hattest du
dir gar nicht zugetraut. Du besaßt sie auch nicht. Noch nicht einmal Wut.
Alles blieb stumpf.
    Du

Weitere Kostenlose Bücher