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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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lachen
müssen.
    Du bist dann aber doch wieder
hingegangen, mit einem Entschuldigungszettel deiner Mutter, und das will dir
heute am absonderlichsten erscheinen. Dass du dieser Dinge noch immer
bedurftest, dass du es offenbar selber glaubtest: dass du erst sechzehn warst.
Du denkst an Paul und fragst dich, wie er dieses Alter einfach und spurlos
hinter sich lassen konnte, ohne dass du es selber merktest, ohne dass du das
Gefühl loswurdest, ihn noch auf Jahre beschützen zu müssen. Er kommt dir immer
noch viel zu jung für alles vor. Du kamst dir nie zu jung vor, und anscheinend
auch sonst niemandem. Seit damals bist du dir vielmehr oft um ein weniges zu
alt vorgekommen. Schon vor den Prüfungen, bis zu denen du unbehelligt bliebst
von Zetteln und Blicken jeder Art, was du für ein Zeichen von unbemerkt
wiedereingerenkter Normalität nahmst, schautest du auf dich selbst wie auf
eine eigentlich lange schon abgegangene und nur durch eine bürokratische
Fehlleistung wieder zurückbeorderte Schülerin der P olytechnischen O berschule S chmalditz. D u nahmst das mittelmäßige
Zeugnis entgegen wie eine Stellvertreterin. Auf dem Abschlussfest vertratest du
dich natürlich nicht, obwohl du neugierig gewesen wärst, ob einer mit dir
getanzt hätte. Hartmut zum Beispiel. Auf dem Abschlussfest konnte man so was
schon mal machen. Wenn man nicht zu viel wusste.
    Diese Frage hat dich nie
ernsthaft beschäftigt. Ob einer was wusste, immer noch weiß. Es hätte gar
nichts geändert. Angenommen Hartmut. Wie hättest du das erfahren sollen, wo es
doch dazu einer eigenmächtigen Entwindung seinerseits aus Roland Möllrichs
Schlepptau bedurft hätte, und wenn nicht mal du ganz in der Lage dazu warst,
wie dann erst der kleine Hartmut Wachlowski? Angenommen, doch. Heimlich, hinter
Rolands breitem Rücken. Dort hätte er aber nicht lange ausharren können,
wolltest du nicht nur einen lästigen, sondern auch nützlichen Mitwisser in ihm
haben. Nur genützt hätte es gar nichts, dir nichts und ihm nichts. Zu einer
solchen Dankbarkeit ihm gegenüber wärst du nicht fähig gewesen, die einen Verrat
an Roli samt Folgen aufgewogen hätte. Und du wärst allemal nur diejenige
gewesen, die den Schönen, den Armen Roland angezeigt, vor ein Gericht gezerrt
und womöglich hinter Gitter gebracht hat. Nicht diejenige, die Roland Möllrich
vergewaltigt hat. Doch, genau: die, die ihn vergewaltigt hat.
    Solche Überlegungen, auch
andere, stelltest du damals gar nicht an. Erst im Nachhinein, im Jenseits,
erschien dir manches unglaubhaft, und so fragwürdig, wie nur
Selbstverständlichkeiten bei näherer oder auch fernerer Betrachtung auszusehen
pflegen.
    Den Sommer über merktest du
fast nichts. Dir wurde nicht unwohl, höchstens in den Minuten, wenn deine
Mutter dich abpasste und fragte, wie weit du schon in deinem Nachdenken über
eine mögliche Lehre gekommen seist, eine Empfehlung für die EOS hattest du ja
zu deiner Erleichterung nicht erhalten. Deiner Mutter war es egal, zumindest
hatte sie dich nicht überreden wollen zu zwei weiteren Schuljahren, sie sah
deutlich genug, dass davon auch nichts besser würde. Und wo nun schon Peter,
und ganz grundlos, die höhere Bildung verschmäht hatte, dachtest du insgeheim,
brauchtest wohl nicht ausgerechnet du damit jetzt ankommen. Sie hegte auch
nicht die Ansicht, dass man etwas werden müsse, sondern nur die, dass man etwas
machen müsse, und ein Herumlungern über den Sommer hinaus hätte sie nicht
geduldet. Dir war langweilig, sonst nichts, und du bezweifeltest, dass eine
Lehre diese Langeweile grundsätzlich beheben könnte. Vor deinem inneren Auge
schriebst du das Wort mit doppeltem e.
    Dass du deine Regel nicht alle
vier Wochen bekamst, war eher die Regel. Du vermisstest dieses unnatürliche
Kranksein nicht, wahrscheinlich hofftest du in diesen Monaten, es würde dich
für immer in Ruhe lassen. Es muss tiefer Juli gewesen sein, als dir langsam zu
Bewusstsein kam, was diese Ruhe bedeuten konnte. Es war nicht so, dass du nicht
Bescheid wusstest; als dich dieses Übel mit dreizehn zum ersten Mal heimgesucht
hatte, hatte dir keiner den Schrecken über etwas Unbekanntes mit einem noch
größeren Schrecken über etwas Unausweichliches nehmen brauchen, wie gesagt,
Anna Hanske neigte nicht zum Verheimlichen. Doch du hattest es aufgenommen als
etwas, das auch nur die anderen, deine angetuschten Mitschülerinnen betraf.
Für dich war es lediglich eine überflüssige Funktion deines Körpers. Und

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