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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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haben sie immer gepiesackt, die hatte ganz rote
Haare und alles voller Sommersprossen, und die Bengels haben gerufen: »Rotes
Haar und Sommersprossen sind des Teufels Artgenossen!«
    Aber das hat ihr gar nix
gemacht, oder zumindest hat sie sich nix anmerken lassen, denn gelitten hat
sie, glaub ich, schon, aber das wurd mir erst viel später klar. Einmal haben
sie mich in der Pause ins Lehrerzimmer bestellt. Was ich denn mit Gerda Maitzahn
will. Ich hab erst gar nicht gewusst, was die meinen. Na, ich war doch so ne
gute Schülerin und so vorbildlich und will doch bestimmt mal in die Partei
eintreten, da hätten sie gar keine Bedenken, aber dann könnte ich doch nicht
mit einer Pastorentochter befreundet sein, das würde ich doch bestimmt
einsehen. Ich hab die bloß angestarrt.
    »Sonja, wir möchten, dass du
deine Freundschaft mit Gerda aufgibst.«
    Ich weiß nicht, wie ich aus
diesem Lehrerzimmer wieder rausgekommen bin. Aber seitdem hatte ich jedenfalls
keine Bedenken mehr, wenn mein Vadder am Abendbrotstisch auf den Staat
geschimpft hat, auf die »rote Saubande«. Seitdem war Gerda meine beste
Freundin, und ich dachte, dass keiner uns jemals auseinanderbringt. Und ihr
Vater hat mir das Schwimmen beigebracht, und sie haben mich mitgenommen zum
Zelten am Kummerower See und an ihrem Geburtstag in die Operette nach
Greifswald. Das war die Extraüberraschung von ihrem Vater, »jetzt fahren wir
alle Mann nach Greifswald«, hat er gesagt, und sie hat sich so gefreut. Ich hab
erst gedacht, ööhh, Operette, und dann war das so schön, das war das Schönste,
was ich je erlebt hatte, und ich könnt gar nicht schlafen danach und war wie
aufgezogen und hab das alles haarklein meiner Oma erzählt. Aber das war ihr
irgendwie nix, sie hat dann bloß gesagt: »Na, nich dat du nu ööwerkandidelst!«
Und auf dem Rückweg vom Theater, das weiß ich noch, sind wir in ein Gewitter
reingekommen, und da hatt ich immer Schiss vor. Son Auto hat doch keinen Blitzableiter,
hab ich gedacht, wenn da nu der Blitz einhaut, aber ich hab nix gesagt und war
ganz still. Und Gerdas Vater hat das wohl gemerkt und gesagt, dass wir keine
Angst zu haben brauchen, und dann hat er uns das erklärt, warum der Blitz nicht
ins Auto einhaut, nämlich dass das wie so ein Metallkäfig oder so ist, und dass
wir ganz sicher sind, und wie er das so gesagt hat, da hatte ich auf einmal
überhaupt keine Angst mehr. Erst später, weil die ja immer gesagt haben, dass
der Trabi bloß aus Pappe ist, ist mir das noch mal eingefallen, und da dacht
ich, wenn er nu nicht recht gehabt hätt, Pastor Maitzahn.
    Gerda hat einmal ein Bild von
mir gemalt, das sah richtig echt aus, da hab ich fast nen Schreck gekriegt,
dass ich so ausseh, aber das stimmte. Sie konnte ja so gut zeichnen, da hat sie
allen was vorgemacht, aber die dicke Mennig hat ihr trotzdem bloß immer ne Zwei
gegeben. Da hab ich mich drüber aufgeregt, viel mehr als Gerda, die hat bloß
gesagt, »lass doch«. Wenn wir zusammen was gezeichnet haben, war ich immer n
bisschen neidisch, aber dann hab ich wieder gedacht, na egal, nützt ihr ja doch
nix, in der Schule. Ging ja ständig alles bloß um die Schule. Aber nachmittags,
wenn ich nicht grade alleine war oder Kaninchenfutter holen musste, dann war
ich mit Gerda unterwegs, mit dem Fahrrad über die Dörfer, über alle Berge bis
zum Dunkelwerden.
    Als sie dann weggezogen sind,
hatte ich schon andere Dinge im Kopf. Da bin ich mit Rosi und Marina los zur
Disco, und Gerda durfte meistens nicht, und wir hatten sie eigentlich auch
nicht so gerne dabei, weil sie immer früher als wir nach Hause musste, und
einer musste sie bringen, und getanzt hat auch nie einer mit ihr, außer ich,
und da tat sie mir immer bloß leid, da hatte ich irgendwie immer n schlechtes
Gewissen, wieso eigentlich.
    Wir haben uns noch länger
geschrieben, und auch in den Briefen war sie gnadenlos ehrlich wie immer, und
das war mir manchmal fast zu viel. Wie sie von ihrem Vater schrieb, dass er zu
viel trinkt, dass er manchmal angetrunken in den Gottesdienst geht, dass er an
zwei Sonntagen hinternander die gleiche Predigt gehalten hat. Dass sie nicht
weiß, was sie machen soll.
    Und was hab ich ihr
geschrieben? Dass es mir gut geht, was nicht stimmte, dass ich oft an sie
denke, was auch nicht stimmte, dass die Lehre mir Spaß macht, was erst recht
nicht die Wahrheit war, und was die Wahrheit war, hab ich nicht geschrieben.
Dass ich meistens alleine bin. Dass mir oft langweilig ist. Dass ich

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