Zander, Judith
waren nicht da.«
Das war kein Witz, und ich
lachte auch nicht.
»Nein«, sagte ich, »nur die
uncoolen.«
Da ist ihr das berühmte
ironische Susanne-Grinsen für einen kurzen Augenblick abhanden gekommen. Sie
fing dann schnell irgendwas Belangloses an, aber ich hatte keine Lust zu
antworten und sagte, ich hätte jetzt keine Zeit mehr. Ich glaube nicht, dass
die Anzahl der Fälle, in denen jemand wirklich unter Zeitdruck steht, wenn er
dies äußert, die Fünf-Prozent-Marke übersteigt. >Keine Zeit< ist
wahrscheinlich schon seit Menschengedenken ein Synonym für >keine Lust<,
vermutlich ist dieser Prototyp aller Notlügen bereits vom erlernten ins
angeborene Verhalten übergegangen, und so dürfte auch Susanne die Botschaft
instinktiv erfasst haben. Allerdings nur die halbe. Denn für das Eigentliche,
das ich sagen wollte oder hätte sagen wollen müssen, das, was beim Anblick
dieser ganzen coolen Clique in mir wie Magensäure in der Speiseröhre
hochsteigt, brennt und mich ständig aufstoßen lässt, fehlen mir nach wie vor
nicht nur der Mumm, sondern auch die Worte. Und das verursacht mir neben diesem
unbeschreiblichen Ekelgefühl die größte Übelkeit.
Vielleicht liegt es bloß
daran, dass es sich bei der Hälfte davon um Leute handelt, mit denen ich mich
mal angefreundet hatte, als sie uns alle in der sechsten Klasse auf dem Gymnasium
zusammengewürfelt hatten und die alten Freunde teils in der Realschule
geblieben, teils sowieso schon nicht mehr das waren, was man als Kind ganz
selbstverständlich so bezeichnet hatte. Da kamen mit den neuen Fächern und den
neuen Lehrern auch diese neuen Freundschaften über einen, oder was man so
Freundschaften nannte, wenn man den einen oder anderen Nachmittag zusammen
verbrachte, gemeinsam über Lehrer und Mitschüler herzog und sich gegenseitig
zum Geburtstag einlud. Aber an meine legendären Kindergeburtstage, bei denen
Mama der Zeremonienmeister war, die tollsten Spiele mit uns veranstaltete und
wir oft nicht mehr konnten vor Gackern oder auch heulend in der Ecke saßen,
weil jemand anderes den Preis bekommen hatte, an diese Geburtstagsfeierlichkeiten,
die einen derartigen Höhepunkt in meinem Jahresablauf darstellten, dass ich
bereits Wochen vorher kunstvolle Einladungskarten fertigte und nicht mehr
durchschlafen konnte, kamen diese späteren Feiern schon nicht mehr heran.
Und wie lächerlich mir das
jetzt vorkommt, wie ich jedes Jahr aufs Neue bei dieser Überfahrt, mit
geringfügig wechselnder Besatzung, versucht habe, auf einem fatalen Kurs
abzubremsen, vielleicht gar, eine Schubumkehr einzuleiten, und First Officer Mama
gab sich nach wie vor alle Mühe. Niemand guckt gern zu, wenn sein Schiff durch
Aufprall auf einen Eisberg auseinanderzubrechen droht, und so machte ich
einfach die Augen zu. Es muss das Vorgefühl dieses Ekels gewesen sein, das ich
nicht wahrnehmen wollte, auch nicht, als Susanne und Anja sich zu vertraulichen
Gesprächen für eine halbe Stunde im Bad einschlossen, nicht, als Nadine und
Beate gleich nach dem Kaffeetrinken zu einem Spaziergang aufbrachen und erst
kurz vor dem Abendbrot wieder eintrudelten, und als keiner mehr zu irgendetwas
anderem als Rumsitzen-und-über-Leute-Lästern zu bewegen war, ebenfalls nicht.
Bis ichs kapiert hatte, mir gar nichts anderes übrig blieb, als endlich mal was
zu kapieren. Und das muss eigentlich schon vor meinem siebzehnten Geburtstag
eingetreten sein, der zweifellos die Krönung darstellte. Jedenfalls konnte ich
mir hinterher keinen einzigen vernünftigen Grund mehr nennen, der mich dazu
veranlasst hatte, meine Freundinnen noch einmal einzuladen.
Wir steckten gerade mitten im
Umzug nach Bresekow, die Wohnung war schon halb ausgeräumt, und über allem hing
vermischt mit dem Melassegeruch der Zuckerfabrik etwas, das ich als zähflüssige
Hektik bezeichnen würde, was mir in einem Aufsatz nicht mal als Oxymoron
durchginge, denn die gleichen Dinge, die wir in hochliterarischen Texten als
sogenannte sprachliche Mittel wie abgerichtete Trüffelschweine aufstöbern
sollen, werden uns in eigenen ja als sogenannte Ausdrucksfehler angestrichen.
Aber es war diese Art von Stimmung, in der man die ganze Zeit nervös ist, weil
sich etwas verändert, aber auch gerade deswegen wie halbseitig gelähmt. Es
ging etwas definitiv zu Ende, und zwar mehr als nur die siebzehn Jahre, die ich
in dieser pupsigen Heimatstadt zugebracht hatte. Ich kann nicht sagen, dass das
Gefühl inzwischen aufgehört hätte. Aber ich habe mich
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