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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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waren,
runtergehopst von Stufe zu Stufe auf unseren kleinen Hinterteilen, so schnell,
dass man wirklich schon fast von Rutschen sprechen konnte, nahe an
vierundzwanzig Stufen pro Sekunde. Das gab Meeker, das ging nicht mehr raus,
und unsere Hintern wurden grün und blau, ganz ohne Schläge. Und einmal bin ich
tatsächlich drauf ausgerutscht, und der Schock war größer als der Schmerz, denn
ich hätte doch nie gedacht, dass das wirklich passieren würde, wie ja auch nie
einer wirklich auf einer Bananenschale ausrutscht, obwohl ich diesen Slapstick da
noch gar nicht kannte, weil sich ja, wie allgemein bekannt und bewitzelt,
Bananen bei uns derart an der Grenze des Möglichen und Erringbaren bewegten,
dass man die meiste Zeit vergaß, dass es sie überhaupt gab, und das war auch
besser so, denn es gab sie ja nicht. Mein Hintern tat mir mindestens eine Woche
lang weh, trotzdem konnte ich es nicht glauben, dass alle Warnungen und
Prophezeiungen meiner Mutter aufs Genaueste und also Demütigendste eingetroffen
waren. Ich glaube so was immer noch nicht, ich habe das fast körperliche
Gefühl, ich darf nicht, ich darf gar nicht erst damit anfangen.
    Und es ist derselbe Hintern,
der sich jetzt in Paul McCartneys Sessel schmiegt, der ja Ellas Sessel ist, und
beinahe warte ich drauf, dass es poltert, dass Ella ausrutscht mit ihren
ausgeleierten Plüschlatschen auf der gebohnerten Treppe.
    Mein Blick wandert durch ihr
Zimmer. Es ist erstaunlich normal. Erstaunlich gemütlich. Na was hast du denn
erwartet, Romy? Eine Bierdosensammlung? Schwarzgestrichene Wände, eine
Grufti-Höhle? Das Einzige, was mich ein wenig befremdet, sind die Augen von
Kurt Cobain, die mich von der Wand gegenüber anstarren, sehr weiß. So was gibts
also noch, hab ich länger nicht gesehen. Aber auf den Schulfesten kramen sie
auch noch jedesmal S mells like T een S pirit raus, und, ich gebe es zu,
auch zu meiner Freude, denn es ist ja wenigstens was, wonach man mal tanzen
kann, nachdem man vorher ungefähr zweieinhalb Stunden rumgesessen und auf »was
Gescheites« gewartet hat. Es ist immer ein Elend. Man fragt sich, warum man
überhaupt noch hingeht, zu diesen Herbstbällen, Schneebällen, Faschings- und
Sommerfesten. Weil Nichthingehen noch unerträglicher wäre, weil man dann zu
Hause sitzen und sich ärgern würde, die einzige Chance, sich vielleicht mal
irgendwo zu »amüsieren«, gerade durch eigene Schuld zu verpassen, während sich
alle anderen vielleicht, vermutlich, höchstwahrscheinlich gerade »köstlich
amüsieren«, und man am nächsten Tag in der Schule wie der letzte langweilige
Trottel dastünde, weil man wieder mal nichts mitgekriegt hätte und sowieso
überhaupt keine Ahnung, worüber gerade getuschelt wird? Ja.
    Außerdem natürlich: Tobias. Um
ihm über den Weg zu laufen, einen Blick, ein Lächeln, Moleküle seines Duftes zu
erhaschen, womöglich sogar: ein Grüßen. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig,
als hinzugehen. Weil ich in einer ständigen Panik vor den Geschossen des
Schicksals lebe, die allesamt aus einer Kanone mit der Aufschrift >Verpasste
Gelegenheit abgefeuert werden. Ich habe das längst durchschaut, aber aus
irgendeinem Grunde komme ich nicht aus der Schusslinie.
    Und dann sitzt man doch nur
wieder rum und betrachtet mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und
Abscheu die bizarren Pärchen, die sich im Eins-Zwei-Tip-Schritt zu
Eins-Zwei-Tip-Musik übers Parkett schieben, beobachtet seine eigene Laune beim
Absacken in tiefste Kellergewölbe, und wenn man einen Blick von ebenso trostlos
rumsitzenden Leuten auffängt, rollt man mit den Augen, beteuert sich
gegenseitig, wie öde man es fände, und äußert in Variationen die Meinung, dass
sie doch endlich mal »was Gescheites« spielen könnten. Komischerweise herrscht
da eine seltene Einigkeit zwischen mir und Leuten, mit denen ich sonst gar
nichts oder nicht mehr sehr viel zu tun habe, also zwischen mir und den Coolen.
Was idiotischerweise eine Selbstbenennung ist. Ich hätte das nicht für möglich
gehalten, bis mich Susanne - und sie war wirklich mal meine Freundin - einmal
nach einer Faschingsfeier, bei denen die meisten »von uns« nicht dabei waren,
weil sie anscheinend schon was Besseres vorhatten, und Susanne selber krank
gewesen war, fragte, wer denn alles da gewesen sei und ob sie was verpasst
habe. Ich sagte, dass zumindest ich da gewesen sei, und zählte dann noch ein
paar andere auf, worauf sie befriedigt feststellte: »Also die ganzen coolen
Leute

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