Zander, Judith
war
ich ja schon dran gewöhnt. Ist ja klar, dass er bei Thorsten nie auf so was
gekommen war, da hätt er sich doch lieber die Zunge abgebissen. Ist ja auch so
was von offensichtlich, dass Thorsten sein Sohn ist, oder, bei den guten
Schulleistungen, und so vorbildlich und überhaupt, und wo er nun die blonden
Haare herhat, na ja, Opa soll ja auch welche gehabt haben. Aber mit Ella, hat
er sich gedacht, das war wohl zu verschmerzen, da hätte er wenigstens endlich
einen Grund gehabt. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Da hätte seine liebe Frau
dann gar nix mehr zu melden, oder zumindest nicht mehr so viel, und an Ella
brauchte man auch keine guten Worte mehr verschwenden, die müsste froh sein,
überhaupt einen zu haben, zu dem sie >Vati< sagen darf.
Schöner Blödsinn. Hat
jedenfalls nicht funktioniert. Das Verrückte ist, dass ich ihm fast dankbar bin
dafür. Ich meine, was, wenn er nun recht hat? Dann muss er froh sein, dass ich
überhaupt noch >Vati< zu ihm sage. Und mir überhaupt noch den ganzen Mist
anhöre, den er so zu versenden hat. Manchmal, wenns grad wieder schlimm ist,
guck ich ihn so an, guck ihm so ganz gradeaus in die Augen und sag gar nichts
und denk nur: Du bist ein Fremder. Ich hab nix mit dir zu tun. So was. Das
hilft.
Nicht, dass ich nun öfter auf
Muttis Seite war, wenn sie sich streiten. Da ticken die beide immer so derartig
aus, das heißt, noch mehr als sonst, dass man, solange man noch nicht auf
demselben Beknacktheitslevel ist, logischerweise für gar keinen sein kann. Da
will man nur, dass der Lärm aufhört. Deshalb hab ich mir für die Fälle Ohropax
besorgt. Und wenn ich dann so an ihnen vorbeigeh und sie rumfuchteln seh und
wie unter Wasser alles nur noch so undeutlich und vermischt mit dem Rauschen
hör und Mutti dann so anguck, kommt mir das manchmal in Kopp: Wenn sie das
wirklich gemacht hat! Und dann find ich sie für ein paar Sekunden ganz gut.
Worüber ich aber erst viel
mehr nachgedacht hab, war das mit dem »schwierig« und »misstrauisch«. Stimmt
doch gar nicht, hab ich gedacht. So denkt die also über mich. Das war wie ein
kleiner Schock, viel mehr, als dass Vati vielleicht nicht mein Vater ist, oder
so kam mir das jedenfalls vor, vielleicht hab ich das auch bloß verwechselt.
Aber immer, wenn Mutti die nächsten Tage mit mir geredet hat oder mich nur
angeguckt, hab ich dadran gedacht. Dass sie denkt, dass ich schwierig und
misstrauisch bin und genauso wie Vati. Und da war ich erst wütend auf sie, und
dann hatte ich Angst, dass das stimmt. Und vielleicht ist das ja dann alles
bloß deshalb passiert, kurz danach, diese Scheiße. Diese Scheiße auf der Elpe.
Weil ich nicht so sein wollte.
Und das hat man nun davon.
Einmal ums halbe Dorf auf dem Knüppeldamm, man hängt auf dem Sattel wien Affe
aufm Schleifstein und stuckert so im Schneckentempo durch die Gegend, die
Handgelenke zittern, es kribbelt einem in den Ohren, und man kann sich nicht
kratzen, weil man mit beiden Händen den Lenker festhalten muss. Ist das hier
eigentlich noch so was wie Zivilisation? Mutti nennt das: »Walachei«, also
alles, was nicht zu unserm tollen Haus und unserm tollen Garten gehört, was auf
der andern Seite von unserm tollen Zaun liegt. Vati scheint das nicht zu
jucken. »Na du kennst ja auch nix andres!«, sagt Mutti zu ihm.
Aber auf die Idee konnte nun
wirklich bloß wieder er kommen: mitm Kartoffelkorb! Den er irgendwo im
Schuppen ausgegraben hat, wo er selber ganz begeistert von war, »guck ma,
Ella, der geht doch, das's noch Vadder seiner, deutsche Wertarbeit«, und dann
hat er mir den einfach hinten aufs Fahrrad geschnallt, und so musst ich los
damit. Und bei diesem Scheißding von Korb schließt der Deckel nicht mehr
richtig, von wegen schön sicher und kann gar nix rausfallen, und ich holper von
Schlagloch zu Schlagloch, dass ich jedesmal denk, jetzt kippt er, dass ich
denk, jetzt kipp doch endlich! Ich stell mir das vor, wie in Zeitlupe: Das Ding
knallt runter, und alle Platten fallen raus, eine nach der andern, alle
rutschen aus ihren Hüllen, hopsen vom Weg schnurstracks aufs Feld zu, rollen in
einer Staubwolke über den Acker, Angriff der Killer-Lakritzschnecken oder so,
und dann ab ins Gebüsch, in den Graben, auf Nimmerwiedersehen. Ich stell mir
das schön vor.
Stattdessen lunsch ich
vorsichtig um jede Ecke. Wenn die das nämlich erst mitkriegen, Ella fährt
Schallplatten spazieren, na danke. Aber die lungern wahrscheinlich im alten
Kindergarten rum, was jetzt der Jugendclub
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