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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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Bengels hatten wir
ja immer welche, und wenn nicht, haben wir uns eins gewünscht oder drauf
gespart, Taschenmesser musste sein. Keine Ahnung, wieso. Aber als Ella mir das
dann schenkte, war das, als wenn du nem Maurer ne Geige schenkst. Erst dacht
ich, das ist ja toll, aber dann wusst ich absolut nix damit anzufangen. Die
erste Zeit bin ich immer mit dem Messer in der Tasche rumgelaufen und hab
geguckt, ob ich nicht an irgendwas damit rumschnippeln könnte, das irgendwie
mal benutzen, ne. Aber nix. Vaters Schuppen mit dem ganzen Holz und Krimskrams hatten
wir ja auch schon lange abgerissen. Hat doch keiner mehr gebraucht, den alten
Mist. Und ich bin ja nu auch nicht grade so der Bastler. Vogelhäuschen und so.
Hab ich nie gemacht. Hätt ich ja gleich Werklehrer werden können. Eigentlich
auch schön bescheuert. Hat man nu gelernt, jeden einzelnen beschissenen Körper
zu zeichnen und auszurechnen, aber nie son Ding gebaut und inner Hand gehabt.
Gibt doch alles, gibt doch alles zu kaufen, und billiger, als wenn du dir das
ganze Material dafür ranschaffst und das selber zusammenpfuschst.
    Mehr als ne Wäscheleine hab
ich nie durchgeschnitten mit dem Messer, und das auch bloß, weil wir da noch
nicht den Trockner hatten. Aber ich schlepps trotzdem fast immer mit mir rum. Vielleicht
kommt man ja doch mal inne Verlegenheit. Hab ich Ella nie gesagt, ich mein,
dass ich die ganze Zeit ihr Messer dabei hab. Hat die wahrscheinlich längst
vergessen.
    Einmal hab ich mich sogar auf
nen blöden Wandertag gefreut, weil ich dachte, na, das ist endlich mal die
Gelegenheit, dein Taschenmesser auszuprobiern. Ich mein, ging ja durchn Wald
und so. Aber als wir dann nach paar Stunden bei unserm Wanderziel angekommen
warn und auf den Bus zurück gewartet haben, fass ich so in meine Tasche, und da
hab ich das Messer inner Hand, und ich hatte den ganzen Weg über kein einziges
Mal dran gedacht. So im Nachhinein wusst ich gar nicht mehr, was ich mir da nu
vorgestellt hatte, von wegen das Messer benutzen und so. Was für ne Situation.
Ich mein, was man sich manchmal so denkt, ne. So was gibts denn immer gar
nicht.
    Gleich sieme. Ich wollt
eigentlich noch mit den Mathearbeiten vonner Neunten anfangen, wird nu auch nix
mehr. Irgendwann muss ja auch mal Feierabend sein. Müssen die eben noch paar
Tage länger warten, man ist ja auch bloß n Mensch. Und als ob die da nu drauf
warten. Auf ihre sechs von zweiunddreißig Punkte. Trotzdem nörgeln sie immer rum.
Hab ich erst gar nicht kapiert. Dann dacht ich, ist vielleicht so, wie wenn
unsereins in'n leeren Briefkasten guckt und enttäuscht ist, obwohl sowieso bloß
Rechnungen kommen. Bin gespannt, ob ich mal wieder irgendwo ne Zwei drunter
schreiben kann. Vielleicht bei der kleinen Finke. Obwohl, die scheint
neuerdings auch andre Sachen im Kopp zu haben.
    Na wenigstens dürfte ja um die
Zeit und mitten inner Woche keiner mehr aufm Friedhof sein. Aber weißte nicht.
Manchmal kriegen die das auch im Kopp, die ollen Schlattern, und rennen um
neune noch mal los und grugen sich fast zu Tode um so ne »nachtschlafne Zeit«,
aber die Stiefmütterchen müssen noch begossen werden. Na, sieht aus, als war
keiner weiter da. Also hingestellt die Blumen und nix wie weg. »Und auch
bisschen harken, Hartmut!«
    Tja, Vater, da liegste nu und
kannst nicht mehr gegen an, was sie hier mit dir veranstalten. Da kannste nu
keinen Kommentar mehr zu abgeben. Dass sie dir hier jetzt die Vasen aufn Bauch
stellen und n Stein aufn Kopp, wo ausgerechnet die zwei Sachen draufstehen, mit
denen du nix zu tun hast, und von dem Ganzen, was dazwischen war, kein
Sterbenswörtchen. Wozu reißt man sich da eigentlich so den Arsch auf, wa? Am
Ende liegste doch bloß hier rum und wartest auf deine Marie. Wie im echten
Leben. Und die kommt einfach nicht. Na, vergeht einem ja auch, wenn man
jedesmal beim Harken den eignen Namen liest aufm Grabstein, wo bloß das eine
Datum noch fehlt, und grade diese leere Stelle guckt einen ja an. Wie beim
Computer, wenn da immerzu dieser schwarze Strich blinkt und einen gradezu
drängelt, nu endlich was hinzuschreiben. Macht einen ganz wuschig mit der Zeit.
    Aber Britta hat damals gesagt,
ist besser. Wenn wir gleich einen Stein für beide nehmen. War auch billiger.
Und Mutter hatte nix dagegen. Ich glaub, die ist da sogar stolz drauf. Dass sie
da nu ihren Namen in Goldschrift neben dem von ihrem Simon Wachlowski sehen
kann. Von ihrem Mann. War sie ja ihr ganzes Leben stolz drauf, dass das ihr
Mann war.

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