Zander, Judith
Beileid,
übrigens.«
»Sag mal, Hartmut ... Gibts
hier irgendwo ein Messer oder ne Schere?«
»Nee. Glaub nich. So was darf
hier nich rumliegen. Die Jugendlichen ... Ach, Mensch, wart ma! Ich glaub, ich
hab n Taschenmesser dabei!«
Das Taschenmesser! Ich fummel
das aus meiner Arschtasche raus und gebs ihr.
»Schön warm«, sagt sie. Sie
legt da richtig ihre Finger drum, und das Messer ist gar nicht mehr zu sehn in
ihrer Faust. »Ich hab immer kalte Hände.«
Sie lächelt! Seh ich auch zum
ersten Mal.
»Na dann«, sag ich. »Werd ich
mal nach Hause. Hab noch n bisschen ... na ja, Arbeit hat man immer.« Was red
ich'n hier fürn Stuss, Mann!
»Das Messer.«
»Achso, das Messer. Na ja.«
»Ich gebs dann Paul mit. Er
ist doch öfter bei euch, oder?«
»Ja. Jaja. Ella - meine
Tochter ... Ich glaub, die haben sich n bisschen angefreundet.«
»Schön«, sagt sie. »Danke.«
Danke?
»Für das Messer.«
»Ach, keine Ursache.« Schön?
Hat sie »schön« gesagt?
Britta wird sich wundern, wo
ich so lange bleib. Na, ich sag nix. Ich sag, Hansi ist mir übern Weg gelaufen,
und weißt ja, wenn der erst mal... Wieso eigentlich? Wieso soll ich das
eigentlich nicht sagen? Scheiß drauf!
Mensch, Hartmut. Du bist aber
auch n Trottel! Ich hätt ihr doch helfen können, Ingrid. Mit den Kränzen. Hätt
ich ihr doch helfen können. Wieso fällt mir denn das jetzt erst ein?
JOHN & PAUL
du sagst warum
und ich sag
ich weiss es nicht
oh nein du
sagst tschüss
und ich sag
hallo hallo hallo
ich weiss
nicht
warum du
tschüss sagst
ich sag
hallo
INGRID
Morgen kommt einer vorbei. Das
fällt dir plötzlich ein, als du ins Haus trittst, nein, schon als du die Hand
auf die Klinke legst oder sogar noch ein wenig früher, als deine Finger die
Klinke, die Tür, das Haus noch nicht berühren. Und du könntest sagen, wie früher,
»siedendheiß«, dabei war es stets ein Gefühl, das am ehesten noch einem
Frösteln vergleichbar ist, einem Gefrieren, Blitzeis. Wenn dir nach einem sinnlosen,
dem expandierenden Reich des Vergessens sofort zufallenden Nachmittag beim
Zurücktrotten ins Haus, ein tiergleiches, gewohnheitsmäßiges Trotten, plötzlich,
»siedendheiß«, die Klassenarbeit am nächsten Tag einfiel, der Vortrag, das
Lied, für die, für den, für das nicht gelernt, nicht geübt worden war, du:
unvorbereitet. Ein kurzer Schauer im Nacken, der schnell verging. Du
gewöhntest dir ein Improvisieren an, das meistens langte, selten durchschaut
wurde, nie bis auf den Grund. Man unterstellte dir Faulheit, bestenfalls
Schlusigkeit. Das stimmte nicht. Du warst nicht faul, wenn auch nicht fleißig,
du wusstest gar nicht, was das sein soll, du warst ein wenig vergesslich, ja.
Aber nicht aus Gedächtnisschwäche oder - wie soll man das nennen, du kennst nur
das englische Wort: preoccupation. Andere Dinge. Du hattest keine anderen
Dinge. Man könnte es beinah Vorsätzlichkeit nennen, Absicht. Etwas »mit
Absicht« machen. Das war das Schlimmste. Das wurde nie begnadigt.
Du hast versucht, das alles,
all diese Anforderungen, die ja nichts mit dir zu tun hatten, nicht wahr, die
ausgegossen wurden, unterschiedslos, über alle, und was geht einen denn der
Platzregentropfen an, der einen trifft, was kann man letztlich für den
Jauchespritzer am nackten Bein -, du hast versucht, das alles auf Abstand zu
halten, so weit weg, ein Drecklappen zwischen spitzen Fingern am ausgestreckten
Arm. Du hast es dir selbst verschwiegen, und Verschweigen war deine zweite
Haut.
Und Verschweigen war eine
Lüge. Und lügen durfte man nicht, nicht wahr. Also musste man doch erzählen,
was man wusste. Also musste man erzählen, wenn man Bärbel war und dabei
gewesen, dass die Kornblume von Ingrid, die so schön und akkurat gepresst auf
dem weißen Blatt klebte, viel schöner als die eigene, nicht wochenlang
sorgfältig zwischen Zeitungspapier gelegt unter schweren Büchern langsam von
einem flüchtigen in ein nützliches Dasein übergegangen war, sondern wirklich
noch am Tage vorher am Feldrand hinter Bölschows Haus zwischen Mohn und Weizen
sich im Juniwind gewiegt hatte, bis Ingrid, in deren Kopf sich wochenlang kein
Gedanke an Kornblumen hätte finden lassen, am Abend ein schlagartiges Verlangen
nach ebendieser Kornblume gezeigt hatte und sie ausgerupft hatte und im
Laufschritt nach Hause getragen.
Und dann musste man, wenn man
Ingrid war und vom vergangenen Nachmittag bis zu dieser Heimatkundestunde in
der seltsamen Erwartung, Bärbel, mit
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