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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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sein, Michael und Paul hättest du am
liebsten vor die Tür gejagt, seht euch doch erst mal ein bisschen um. Das ging
natürlich nicht. Aber es ging doch auch nicht, dass sie hier alle
zusammensaßen, in einer Art Überlappung von Mengen, von Parallelwelten, mit dir
als beiden gleichermaßen zugehörigem Element, und beide schienen dir
aufzulauern, eine deutbare Reaktion zu verlangen, waren gespannt, wie du deine
zwiefache Zugehörigkeit - na: welchen Eiertanz du zwischen den Welten aufführen
würdest. Und was das für Eier waren, die es nicht zu zerbrechen galt.
    Du hattest vorher vorsichtig
mit Peter darüber gesprochen, am Telefon, und niemand außer euch hätte dieses
abgehackte, nur aus Anläufen, Rückziehern, Andeutungen bestehende Gespräch
interpretieren können, kein interpreter es verdolmetschen, trotzdem hattest du
das Gefühl, plötzlich, wie in einem Moment übergroßer Erschöpfung, alles zu
gestehen. Paradox, denn Peter war der Einzige, außer deiner nunmehr endgültig
schweigsamen Mutter, der ja bereits alles wusste. Aber es scheint beinah die
größere Befriedigung darin zu liegen, demjenigen eine Schuld zu offenbaren, der
um diese Schuld schon weiß und für den sie keine Offenbarung darstellt. Man muss
nicht erst diese lästige Fremdheit überwinden. Die, die ein Informationsgefälle
zwischen zwei Menschen notwendigerweise hervorruft und die im
Aufklärungsmoment und den überraschten Augen des anderen zu einer
unerträglichen Konzentration ansteigt. Nur durch sie sind eigentliche Geständnisse
so schwer, und so selten.
    Du hattest Peter also gebeten,
ein Schweigen zu bewahren, und warum, hat er sich denken können, nicht mal das
musstest du gestehen. Trotzdem legte sich schon auf der Autofahrt von Berlin
nach Bresekow eine klamme Furcht um dich, und als ihr dann zusammen in der
Küche saßt, hatte sie dich fest eingehüllt und war dir zuwider wie kaltnasse
Wadenwickel um den fiebernden, wehrlosen Körper. Du brachtest zunächst kein
Wort heraus, aus Angst, genau dieses könnte das falsche sein, der Stein zu viel
auf dem mühsam errichteten Turm. Was wolltest du in dieser Höhe? Jeder Blick
hinunter machte dich schwindeln, also vermiedst du ihn, aber jetzt stand unten
Peter und wusste nicht, ob er rufen durfte, und blickte beständig hinauf und du
hinunter. Und ihr hattet Schwierigkeiten, euch überhaupt zu erkennen.
    Peter füllte einen alten
Pfeifkessel mit Wasser und stellte ihn auf den Gasherd. Du hättest behaupten
können, den Kessel wiederzuerkennen, aber es war wohl doch nicht mehr
derselbe, wenn er auch nicht viel jüngeren Datums sein konnte. Du starrtest in
die blaue Flamme, die ganz anders blau war als die Flammen der Herde in Berlin,
in Norwich, in Dublin, auch in Kinsale, wärmer würdest du sagen, wenn man dir
nicht beigebracht hätte, dass Blau eine kalte Farbe sei. Propangasblau. Die
Flamme machte dir klar, dass du zu Hause bist. Sie behauptete es nicht nur, wie
alles andere. >Zu Hause< hatte hier aber nichts mit Nestwärme, mit Heimat
und Gemütlichkeit zu tun. Es war nur ein Fakt, wie der, dass ein Gegenstand an
einem gespannten Gummiband mit desto mehr Wucht an seinen Ausgangspunkt
zurückschnellt, je stärker man es ausgedehnt hat, und du konntest nur hoffen,
dass du nicht noch über diesen Ausgangspunkt hinausschießen würdest, in eine
Art negativen Bereich. Falls das nicht ohnehin unvermeidlich, längst schon
geschehen war.
    Es störte dich sofort, wie
Peter den Hausverwalter spielte, wie er eifrig, und, wie dir schien, ein wenig
zittrig die Schränke auf- und zuklappte, mit den Tassen hantierte, wie er euch
fragte, ob ihr erst mal das Haus sehen wolltet. Du konntest dich nicht
beherrschen, ihn fragend anzusehen, und es war eine Frage, auf die er offenbar
keine Antwort wusste. Die er vielleicht kaum verstand, so wie du ihn kaum
verstehen kannst, in dieser Sprache, die er jetzt fließend spricht. Die hattest
du nicht gemeint, damals. Aber wie hätte er sich sonst verhalten sollen? Es
ließ sich doch nicht so tun als ob, nämlich als ob nichts, es ließ sich doch
nicht das Jahr Dreiundsiebzig an das Jahr Neunundneunzig Kante an Kante
anlegen, und alles dazwischen verschwände in der Dunkelheit einer überdimensionalen
Kellerfalte, eine Kalenderreform sondergleichen. Im Grunde konntest du froh
sein, überhaupt so behandelt zu werden: wie unerwarteter, etwas schwieriger
Besuch.
    Wie zu Besuch spürtest du auch
gleich einem zu engen Sonntagsschuh die dumme Verpflichtung

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