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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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mehr Vicky zuliebe, und nicht mal so viel wie ihr, aber
es genügte, um dich in seinem Blick als einen schweren Fall zu erkennen. Ab da
fiel es dir leicht. Deine Geschichte erschien dir ganz unterhaltsam, ein
bisschen schäbig und zweitklassig, wie irgendeine, die du heimlich gelesen
hattest, nicht gerade Schullektüre. Du machtest ein bisschen auf Spannung.
    Die Zwischenfragen des
Psychologen störten dich zuerst, aber du beantwortetest sie alle geduldig, obwohl
du wusstest, dass auch er eine von Vickys Vorstellungen bildete. Aber du warst
immer noch weltfremd. Immerhin gab er dir die Möglichkeit, dem Klang von Worten
zu lauschen, die du lange nicht, und wenn, dann auch nur selten, ausgesprochen
hattest. Diese Worte rührten dich. Du weintest eigentlich nicht zu der Zeit,
aber im Zimmer des Psychologen, das dir stets wie freischwebend, umgebungslos
vorkam, sobald du eingetreten warst und die Tür hinter dir zugezogen hattest,
passierte es dir manchmal. >Passieren< war da schon das falsche Wort, du
nahmst die Übergänge kaum wahr. Gesichtshaut, die plötzlich nass ist und wieder
abtrocknet. Ein Weinen mehr wie beim Zwiebelschneiden, und ohne das Brennen in
den Augen.
    »Reden ist der erste Schritt«,
hatte der Psychologe gesagt. Und du redetest, bis dir einfiel, dass du diesen
Satz kanntest. Den von Einsicht und Besserung, und das eine war auch so ein
erster Schritt. Wolltest du Besserung? Vielleicht. Aber keine Einsicht. Und
fast mehr in diesem Sinne: Später, als du hörtest, dass man »seine Akten«
anfordern könne, um »Einsicht« in sie zu nehmen, fiel dir gar nicht ein, das
etwa auch zu tun. Du warst dir sicher, dass es über dich keine Akten gab. Du
hörtest auf mit dem Reden.
    In deine plötzliche
Verdunkelung schoss der Psychologe eine Leuchtrakete: »Sie sind sexuell
traumatisiert.«
    Du hörtest harte Töne aus dir
herauskommen. Es muss ein Lachen gewesen sein. Du sagtest ihm, dass du ihn
nicht länger für Unsinn bezahlen wolltest. Nichts fiele dir so leicht, wie mit
Männern ins Bett zu gehen.
    Da lebtest du knapp zwei Jahre
in Berlin und hattest ein wenig den Überblick verloren. Die Pille war wichtig,
sonst nichts. Die Namen der Männer merktest du dir nicht, zumindest versuchtest
du es.
    Du sagtest das
unwahrscheinliche Wort >bumsen<. Es war eine gute Gelegenheit. Das Bumsen
sei ja das Einzige, was dich entspanne, überhaupt normal bleiben ließe.
»Normal« sagtest du aus Provokation. Der Psychologe nickte. Du nicktest auch,
als fändest auch du alle deine Vermutungen bestätigt. Du fragtest dich, ob er
mit dir ins Bett gehen wolle, ficken sozusagen. Ein leichter Ärger überkam
dich, als du dir sagen musstest, dass das nicht der Fall sei. Du murmeltest ein
»fuck you«, als du die Tür öffnetest und das Zimmer damit wieder in ein Haus in
einer Straße einsetztest. »Fuck you« hattest du von Vicky gelernt. Es schien
dir ungefähr zu passen. Der Psychologe fragte dich, ob du was gesagt hättest.
Du drehtest dich um und lächeltest ihn zum ersten Mal an. Du schütteltest den
Kopf.
    Kurz darauf kündigtest du in
der Kneipe. Es ging dir gut. Jedenfalls nicht schlechter als anderen, und du
hattest doch einiges gesehen. Dir konnte man nichts mehr erzählen. Die Männer
erzählten dir alles. Einer hat dich im Suff geschlagen, du hast
zurückgeschlagen, und da hat er sofort aufgehört. Einer hat dich gefragt, warum
du kein Geld nimmst. Er war freundlich. »Wer sagt, dass ich keins nehme?«, hast
du gefragt, aber das hat er dir nicht abgenommen. Morgens, als er weg war, hast
du fünfundvierzig Mark neben deinem Kopfkissen gefunden. Du warst nicht
beleidigt. Du hast dir eine Jacke gekauft.
    Der neue Job im Cafe gefiel
dir. Du mochtest die Studenten. An die freien Abende musstest du dich erst
wieder gewöhnen. Ab und zu gingst du in den Nachtclub, in dem Vicky mit ihrer
Band auftrat. Die Band war furchtbar, so ein Urteil glaubtest du dir inzwischen
erlauben zu dürfen, und Vicky war auch furchtbar, aber sie hatte eine gute
Stimme. Ihre Stimme war sicher wie eine Stahltür. Warum ließ sie die offen
stehen? Im Nachtclub sagtest du nie hallo zu ihr. Ihr traft euch nicht mehr.
Einmal sahst du sie im hellen Mittagslicht, wie sie versuchte, eine viel
befahrene Straße zu überqueren, und ihre Versuche immer wieder abbrechen
musste und schließlich aufgab und weiterging. Du weißt noch, dass du dich
fragtest, ob sie es jemals schaffen würde, die Straße zu überqueren, und was,
wenn nicht. So sieht eine Frau

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