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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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drücken, etwas
sagen zu müssen, als Peter euch zu den einzelnen Zimmern führte, Worte wie
>schön<, >interessant<, zumindest >aha<, aber der Mund war
dir wie zugenäht, bis dir aufging, dass dies die Gelegenheit gewesen wäre,
diese Worte endlich in ihrer ganzen erpressten Verlogenheit auszustellen, und
da warst du beinahe so weit, sie zu sagen. Aber auf einmal tat Peter dir leid.
Wie er versuchte zu lächeln, als er sagte, ihr hättet die Auswahl, Betten gebe
es in diesem Haus noch immer mehr als genug, und wie das Lächeln dann ins
Stottern geriet: du und dein Mann, ihr müsstet nicht in dem Ehebett schlafen,
auch das Sofa im Wohnzimmer sei sehr bequem. Nur, falls es euch, falls ihr das
nicht wolltet.
    »Ist sie darin gestorben?«,
hat Michael dich hinterher gefragt.
    »Ja«, hast du gesagt. »Nun
stell dich nicht so an, was ist denn dabei. Ich nehme ihre Seite.«
    Ganz geheuer war dir das zwar
auch nicht. Doch das hatte mit etwas anderem zu tun. Viel mehr als die
unwiderrufliche Abwesenheit deiner Mutter rief dieses Bett eine andere in dir
auf, die so lange, fast Zeit deines Lebens, eine Abwesenheit gewesen war, dass
eine Anwesenheit, von der sie ja immerhin mal ausgegangen sein musste, deiner
Vorstellung gar nicht mehr gelang. Die deines Vaters. Gleichwohl schien seinem
Fortsein nie etwas Definitives innezuwohnen, offenbar nicht einmal für deine
Mutter, die sonst alles Überflüssige so schnell wie möglich aus dem Haus zu
schaffen trachtete. Das kurze, streng begrenzte Doppelbett blieb, auch nach
seinem Tod. Jene Nachricht hatte keine Konsequenzen, sollte das Leben mit
seiner Abwesenheit nicht wesentlich verändern. Nicht ihres.
    Und dieser Egoismus ließ einen
Groll in dir wachsen. Obwohl du schon damals eingesehen hättest, wäre dir Zeit
zum Nachdenken geblieben, dass das Bett bleiben musste, und du hättest dich
geschämt, wäre es da plötzlich fortgeschafft worden. Es wäre ja ein einziges
Eingeständnis gewesen. Das Eingeständnis einer zwei Jahrzehnte währenden
Hoffnung. Und wahrscheinlich hattest du dir die auch bloß eingebildet.
    Du wusstest, dass Michael und
du nicht recht hineinpassen würdet. Und als du in der ersten Nacht mit
angezogenen Beinen dalagst und nicht einschlafen konntest und die Dunkelheit
eine lange vergessene Vollkommenheit erreicht hatte, dachtest du darüber nach,
dass dein unsichtbarer Vater wie ein Gott, wenn auch einer, an den du nicht
glaubtest, über dein Leben gewaltet hatte. Du warst der Beweis für seine fast
zur Sage gewordene kurze Anwesenheit. Ohne sie wärst du nicht hier gewesen. Und
ohne seine nicht minder entscheidende, dir im Grunde wichtiger erscheinende
Abwesenheit wärst du jetzt nicht wieder hier. Sondern immer noch.
    Du wurdest nicht warm unter
dem schweren, klammen Deckbett. Uralte Federklumpen drückten dich in das
Laken, dass du dich kaum zu bewegen wagtest. Du hättest dich gern an Michaels
Rücken gedrängt. Aber du warst froh, dass er überhaupt schlief. Auf einmal
konntest du dir vorstellen, dass Anna Hanske in diesem Bett, eng wie ein Sarg,
kühl wie der Herbst, gestorben war, auf genau diesem Platz. Es machte dir
nichts aus. Du konntest das Etepetete der Leute in diesen Angelegenheiten
nicht verstehen. Als ob der Tod etwas Ansteckendes wäre. Als ob er einem nicht
ohnehin das ganze Leben lang in den Knochen steckte.
    Du warst überrascht, aber
erleichtert, das Haus von Erna Mehling wieder bewohnt zu finden, Gardinen vor
den Fenstern, Astern im Vorgarten, offensichtliche, vielleicht offensive Normalität.
Es war ja auch normal. Doch du weißt genau, dass die Leute dort mit einem
gewohnheitsmäßigen Schauern vorbeigehen, sich flüsternd darauf hinweisen,
heimliche Fingerzeige. Und sie zeigen in eine Richtung, in der recht deutlich
du wahrzunehmen bist, entfernt, aber unverkennbar. Du selbst siehst dich
natürlich dort nicht. Was bilden die sich denn ein? Was hast denn du damit,
sie können doch dich nicht. Du warst doch gar nicht da.
    Nicht hier, in diesem kaum
hundert Meter entfernten, viel zu nahen Haus. Es war von einer Aufgeräumtheit,
die dich befremdete, und beruhigte. Diese Ordnung hatte nichts mit der
Klarheit Anna Hanskes gemein, sie ähnelte ihr nur auf eine dilettantische,
durchsichtige Weise, doch Peter dahinter zu vermuten, erschien dir ebenso
abwegig. Vielleicht sahst du alles falsch. Jedenfalls gab es kaum etwas zu tun.
Kein großes Ausmisten. Das musst du dann doch von ihr haben. Diese fanatische
Lust an der Entrümpelung, von einem

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