Zander, Judith
für dich und ihn in etwa siebzehneinhalb Jahre vergangen
waren. Du hattest nicht geschrieben. Damals, als es nicht ging. Du wolltest
keine Schwierigkeiten machen. Peters Brief war wie das Nicken von Michael, damals.
Du schriebst zurück. Du machtest viele Absätze.
Michael wusste von diesem
fernen Bruder. Hinter der Mauer, hinterm Mond, zu fern für dieses Leben. Peter
war dein Zugeständnis an Michael gewesen. Es war zu spät, ihm etwas anderes
zu erzählen. Als der zweite Brief kam, zwei Jahre darauf, ein hastiger,
zugleich scheuender, mit vielen Streichungen zusammengequälter Brief, war es
endgültig zu spät, ihm irgendetwas anderes zu erzählen.
MARIA
Das war auch so ein Wetter in
dem Jahr, genau so ein malles Wetter. Morgens immer Sonne und keine Wolke zu
sehn, und dann regnete das den ganzen Tag. Und kein Mensch auffe Straße, hat
sich ja keiner mehr rausgetraut, na, und danach erst recht nich, die alten
Weiber, die haben da alle den Schlüssel zweimal rumgedreht. Die alte Hilda
Roggelin. Sonja, was ihre Enkelin is, die wollt ihr das erst gar nich sagen,
die wollt ihr nu keine Angst machen, aber haben ja nu doch alle davon geredet,
die Schwestern und alle, und denn hat Sonja ihr das lieber doch erzählt, bevor sie
das so nebenbei mitkriegt. Ich mein, das war ja ihre Freundin, nich, Erna
Mehling war ja ihre Freundin, obwohl die n ganzes Stück jünger war. Aber in dem
Alter kommt das da nich mehr drauf an. So alt wird unsereins gar nich mehr. Das
hat Simon auch immer gesagt. Aber Erna war da auch nur ein Jahr älter als ich
jetzt, als das passiert is. Paar Tage später bin ich ganz früh zu Simons Grab
hin, ich dacht, bevor das wieder anfängt, und das war ja sein Sterbetag, und
dann hab ich das gesehn vom Kirchhof aus, Ernas Tür, dass da was rübergeklebt
war, dass keiner mehr raus und rein konnte, und da hab ich das erst geglaubt.
Da hab ich das gesehn, das war zu sehn, dass das leer war, das Haus. Und ich
wollt mir gar nich vorstelln, wie das gewesen war, was die so erzählt hatten,
aber ich hatt das immerzu im Kopp.
Das war so ruhig an dem
Morgen, und die Sonne schien in mein Fenster, und kalt war das, ich dacht, na,
ich bleib ma noch paar Minuten länger im Bett, und denn ging das auf einmal
ta-tü-tata, und denn kam der Krankenwagen oder die Polizei. Erst dacht ich, das
brennt irgendwo. Da bin ich sofort äussern Bett. Da hatt ich immer solche Angst
vor, wenn das irgendwo brannte. So wie damals, als deswegen die Schule ausfiel.
Da kamen uns die Jungens entgegen und riefen immerzu: »De Schaul brennt, de
Schaul brennt!«, aber das stimmte nich. Gebrannt hat das zwei Häuser weiter, da
war morgens der Blitz in die große Kornscheune eingeschlagen und gleichzeitig
hundert Meter weiter in'n Kuhstall, und das brannte lichterloh, das waren ja
beides Reetdächer gewesen. Und da mussten wir Kinder nu mit ran und die Kühe
auf die Wiese treiben und aufpassen, dass die nich wegrennen. Und ich weiß
noch, wie wir beide stolz waren, Anna, dass wir da helfen durften, denn da
wurden bloß die größeren Kinder für genommen, und wir waren noch gar nich so
groß. Und ich hatt eine Heidenangst vor dem Feuer, und ich wollte auch gar
nich, dass die Schule mit abbrennt, auch wenn das nich so schön war in der
Schule mit Herrn Pittelkow, aber immer zu Hause bleiben wollt ich auch nich,
und dann hätt ich dich ja auch nich mehr gesehn.
Und das war so ein Wetter an
dem Tag. Wie sie gekommen sind, da schien noch die Sonne. Und wie sie sie denn
rausgetragen haben, da hat das gegossen, »immer raff uff ehr, immer raff uff
dat witte Tüch, wo se drunner lag«, wie Martha gesagt hat, die hat das ja alles
gesehn von ihrem Fenster.
Und das hat sie auch gesagt,
vorher, dass das nich gut geht, wodrauf Erna sich da bloß eingelassen hat, dass
ihr das mal einer sagen muss, dass das nich geht. Aber gesagt hat sie Erna das
nich. Und dass das nu so kommen würd, dass das nu so ein Ende nehmen würd, das
hat Martha auch nich gewusst, da kann sie noch so schlau tun. Keiner hat das
gewusst, auch wenn sie denn alle so getan haben: Dat hett's nu davun.
Was wollt die bloß mit dem
ßengel? Aber das war auch so eine, die nich nee sagen könnt. Und siehst du, das
war nu der Unterschied zu dir, Anna. Du hättst das nie so weit kommen lassen.
Ich will ja nich sagen, dass sie nu was dafür konnte, Erna, dass das passiert is,
aber bisschen war sie vielleicht doch schuld dran. Das war vielleicht so wie
mit dir, Anna, du konntst
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