Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
Holzstreben, hebt die Flöte an den Mund und beginnt zu spielen. Leise, dünne Töne – fast schon eine Melodie – klingen durch den Raum.
»Ich habe sie für ihn geschnitzt«, sagt Aidan und dreht sich wieder zu mir um. »Ich dachte, mit Musik hat er vielleicht eine Möglichkeit, seine Gefühle auszudrücken. Armer kleiner Kerl. Ich weiß nicht, was deine Leute ihm angetan haben, aber …« Er verstummt und betrachtet den Jungen. »Es gibt da etwas, das dieser Bastard Otter gesagt hat … Ich habe mir vorher nie Gedanken über sie gemacht. Über die Tribut-Armee, meine ich. All diese Kinder, die am Großen Wall sterben. Wir töten sie, und das schon seit Generationen. Ich … ich habe einfach nie darüber nachgedacht, wer sie sind.«
Die Laute der Flöte steigen in der kühlen Luft empor, höher und höher, bis sie die gewölbte Steindecke erreichen.Ich denke an meine Mutter. Dieser Raum hat schon vieles gehört – verzweifeltes Weinen, flehentliche Rufe, panische Schreie, die atemlose Stille nackten Entsetzens. Aber noch nie Musik. Ich habe das Gefühl, als bohre sich mir ein Splitter des schwarzen Marmors aus dem Schacht ins Herz.
Ich fühle Aidans verzweifelten Wunsch, den Jungen zu retten … fühle seine Wut. Wut auf Otter, auf Benedict, auf sich selbst. Und ich erinnere mich an zwei kleine Mädchen, die sich gegenseitig geschworen haben, einander zu beschützen. Die eine ist tot, die andere lebt, verleugnet sich aber selbst.
Aidan schaut auf und hält meinen Blick fest.
Ich weiß, was er will, und meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen. Plötzlich habe ich Angst. Diese Angst ist ein alter und vertrauter Feind, den ich seit Gerontius’ Tod eigentlich besiegt glaubte. Und nun habe ich zugelassen, dass der Erschaffer mir etwas bedeutet. Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich will nicht noch einmal Angst haben, jemanden zu verlieren. Aber es ist bereits zu spät.
»Alles in Ordnung?« Der Erschaffer sieht mich stirnrunzelnd an. »Du siehst ein bisschen mitgenommen aus. Hast du dir vorhin den Kopf schlimm gestoßen?«
»Nein … nein, mir geht es gut.«
»Ich …« Er zögert. Ich glaube, er hat nicht sehr viel Übung darin, sich zu entschuldigen. Noch vor ein paar Minuten hätte ich über den gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht vielleicht gelacht. »Ich bin dir und diesen geheimnisvollen Leuten, die mich hier rausholen wollen, sehr dankbar. Das bin ich wirklich. Aber ich gehe nicht ohne ihn.« Die Augen des Erschaffers wandern zu dem Jungen.
»Ja … ich weiß. Er wird mit dir gehen, das verspreche ich.«
Er greift nach meiner Hand und verschränkt seine warmen, schwieligen und kräftigen Finger mit meinen. Dann zieht er mich zu dem Gerüst hinüber, wo wir uns Seite an Seite setzen und uns ansehen. Gnade mir Zeit! Diese Gefühle und die Angst, die sie mit sich bringen, sind das Letzte, was ich im Augenblick gebrauchen kann. Ich will das nicht!
Aidan lächelt. Seine Augen nehmen einen fast zärtlichen Ausdruck an und ich vergesse meine Angst. Ich hebe eine Hand und berühre mit der Fingerspitze die Narbe, die seine linke Augenbraue teilt. »Wie ist das passiert?«
»Eine Prügelei.« Er zuckt die Schultern. »Du weißt schon … man trinkt ein bisschen zu viel, und schon ist es passiert. Jemand hat mir eine Bierflasche über den Kopf gezogen.«
»Die Narbe ist schon etwas älter. Warst du nicht noch ein bisschen zu jung, um zu trinken und dich zu prügeln? Was haben deine Eltern dazu gesagt?«
»Meinen Vater interessiert es nicht, was ich will, warum sollte ich mich also darum kümmern, was er will?« Aus seinen Worten sind über Jahre angestaute Wut und Verletztheit herauszuhören.
»Und deine Mutter?«
Sein Gesicht wird weich. »Sie tut, was sie kann. Aber es ist schlimm für sie. Und jetzt …« Seine Augen verdunkeln sich vor Kummer. »Als sie kamen, um mich zu holen, haben sie ihr einen Trank aus Mohnsamen verabreicht und sie in ihre Kammer gesperrt. Ich konnte mich noch nicht einmal von ihr verabschieden. Bastarde!«
»Das tut mir leid.«
Er nickt. »Es wird schon wieder alles in Ordnung kommen. Du hilfst mir, nach Hause zurückzukehren.«
Ich schlucke die Angst davor, zu versagen und ihn erneut zu enttäuschen, hinunter. »Wir müssen herausfinden, warum Benedict so getan hat, als würde er mit deinen Leuten Frieden schließen wollen. Hast du ihn noch einmal gesehen?«
Der Erschaffer senkt den Blick und nickt. »Vor drei Tagen.« Zum ersten Mal steht in seinen Augen
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