Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
war hier im Raum.
Die Ratte dreht und windet sich wie wild und versucht mit aller Kraft, mich loszuwerden. Ihre Abwehr trifft mich völlig unvorbereitet. Beinahe gelingt es ihr, sich meinem Griff zu entreißen. Aber das hier ist die Bibliothek. Swift ist an diesem Ort gestorben. Die ganze dunkle Wut jener Nacht kehrt zurück und entlädt sich mit voller Wucht in dem sich sträubenden Tier. Ich zwinge ihm rücksichtslos meinen Willen auf, bis sein Widerstand gebrochen ist, und schaffe es gerade noch rechtzeitig, meinen Griff zu lockern, bevor ich seinen Geist vollkommen zerquetscht hätte.
Fiepend huscht die Ratte zu dem Platz, den ich ausgewählt habe: unter den Uhrenschrein. Der Schrein ist aus geöltemZedernholz. Seine geschnitzten Füße tragen ihn zwei Fingerbreit über dem Boden. Genügend Platz für eine kleine Ratte. Der herbe Zederngeruch beißt uns in der Nase, übertüncht aber auch unseren eigenen Duft. Wir spähen nach allen Seiten durch das Dunkel zum Lehnstuhl meines Vaters. Obwohl wir nur ein paar Schritte entfernt sind, sehen wir lediglich verschwommenes Blau, Purpur und Grau. Ich bezweifle, dass es sehr viel besser werden wird, wenn die Kerzen und Öllampen brennen. Unsere scharfen, klugen Ohren sind heute Nacht unsere Waffe, nicht unsere schwachen Augen. Und trotz des lauten Tickens über uns – Aidans Werk – werden wir in der Lage sein, jedes Wort zu belauschen, das in diesem Raum gesprochen wird.
Wir kauern uns auf den kalten Steinboden. Der Puls der Ratte rast, sie fühlt sich bedrängt und ihr kleiner Leib zittert, aber sie versucht nicht mehr, sich gegen mich aufzulehnen. Selbstverachtung steigt in mir auf. Ich mache genau das, was Aluid immer verlangt hat und wogegen ich mich stets widersetzt habe – den Willen eines Tiers zu unterwerfen, dessen Geist ich kontrolliere. Aber ich habe keine Wahl. Ich tue es für Swift. Und für Aidan. Heute Nacht werde ich erfahren, warum mein Vater ihn als Geisel genommen hat. Heute Nacht halte ich endlich mein Versprechen, ihm zu helfen.
Es scheinen Stunden vergangen zu sein, bevor sich endlich Schritte nähern und ein kleines Lichtrinnsal unter der Tür hindurchdringt. Uns pocht das Herz schneller und unser Nackenfell sträubt sich, als die Tür nach innen aufschwingt. Die Stimme meines Vaters klingt durch das sensible Gehör der Ratte seltsam verzerrt. Sie dröhnt und donnertdurch den Raum, und es dauert Minuten, bis ich es geschafft habe, Worte herauszufiltern.
Die Magier nehmen auf den Lehnstühlen Platz, die vor dem Schreibtisch für sie bereitstehen, und versuchen die Tatsache zu ignorieren, dass mein Vater ihnen wie ein Kaiser auf seinem Thron gegenübersitzt. Sein selbstherrliches Gebaren ist so offenkundig, dass ich es selbst durch die schwachen Augen der Ratte erkennen kann. Und sein Tonfall macht es sogar noch deutlicher. Benedict gewährt Untergebenen eine Audienz, er trifft sich nicht mit Ebenbürtigen. Der Mord an Aris scheint den Kampfgeist der anderen Erzmagier genauso gnadenlos gebrochen zu haben wie ich den Willen der Ratte.
Während mein Hörsinn sich weiter anpasst, lausche ich einer Unterhaltung, die bereits begonnen hat:
»… aber wir haben keine Garantie dafür, dass bei den Erschaffern das Chaos ausbricht, wie Ihr behauptet. Was nützt es, die Mitglieder des Rats zu töten? Es werden andere Volksvertreter nachrücken. Und vergesst die Soldaten nicht. Sie sind es, auf die es ankommt.«
»Das Oberhaupt ihrer Streitkräfte wird dabei sein, Falu«, erwidert mein Vater geduldig, aber ich kann einen verärgerten Unterton in seiner Stimme heraushören. »Ihr unterschätzt, welche Auswirkungen es auf die Stadt haben wird, wenn mit einem Schlag der gesamte Rat ausgelöscht wird. Wir trennen den Kopf vom Körper ab, Arme und Beine werden führerlos sein. Ja, sie werden kämpfen, aber ihr Widerstand wird nicht von langer Dauer oder besonders wirkungsvoll sein. Unsere Soldaten und die Tribut-Armee werden die Stadt Gengst-am-Wall vom Antlitz der Erde fegen. Undwenn der Wall durchbrochen ist, wenn die mächtigste Stadt der Erschaffer in Trümmern liegt und auch die letzte Seele getötet ist …«, sein Lächeln dreht selbst den robusten Magen der Ratte um, »ist es nur noch eine Frage weniger Wochen, bis die Erschaffer komplett ausgelöscht sind.«
»Und welchen Großmeister habt Ihr dazu auserwählt, den Körper des Erschaffers zu lenken? Es muss jemand sein, der unfehlbar ist, und ich kenne nur wenige, denen ich eine solche Aufgabe
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