Zarias Sehnsucht
die Hand weg, und das Bild verblasste. Lichtflecken bohrten sich mir in die Augen, zu heiß und viel zu grell. Ich tastete nach Meteor, konnte ihn aber nicht finden. Tränen strömten mir übers Gesicht, als ich versuchte, meine unbrauchbaren Flügel auszubreiten.
Als meine Sicht plötzlich zurückkehrte, war der Troll mit der Halskette verschwunden. Wie auch alle anderen Trolle außer den beiden, die mich und Meteor an diesen Ort gebracht hatten.
Der Troll neben mir hatte blasse orangefarbene Haut. Ich fragte mich, warum mir das nicht früher aufgefallen war. Und der Troll neben Meteor war hellgelb. Ich konzentrierte mich auf Meteor. Anscheinend hatte er seine Füße ebenso wenig unter Kontrolle wie ich meine Flügel. Er schwankte unbeholfen an Ort und Stelle, als falle es ihm schwer, auch nuraufrecht zu stehen. Und er sagte kein Wort. Nur seine Augen, so grün und tief, so voller Erleichterung, als sich unsere Blicke trafen, ließen mich wissen, dass er immer noch Meteor, immer noch mein Freund war.
Die beiden Trolle musterten uns, als wären wir stumpfe Kieselsteine, die man ihnen in den Weg geworfen hatte.
»Das Elfenvolk muss so geistlos sein, wie es die Geschichte behauptet«, sagte der hellgelbe Troll.
»Wahrhaftig«, erwiderte der andere.
»Der Prinz verleiht einer Elfe höchstpersönlich den Wunsch des Königs, und sie benimmt sich, als hätte man ihr ein Leid angetan.« Mir gefiel die Art nicht, wie er Elfe sagte – als wäre ich ein abstoßendes Insekt.
»Der König der Trolle erklärt sich bereit, einer Elfe Nectara-Elixier zu schenken, und sie vergießt nur Tränen.« Der orangefarbene Troll trat einen Schritt nach vorne und beugte sich vor, um mir ins Gesicht zu sehen. »Niemandem aus dem Elfenvolk ist je der eine Wunsch gewährt worden.« Er musterte mich.
»Ein Wunsch?«, fragte ich schwach. Ich wollte unbedingt von hier verschwinden. Wegfliegen. Was hatten sie mit meinen Flügeln angestellt? Würde ich mich je wieder in die Lüfte erheben können?
»Seine Majestät hat dir einen Wunsch gewährt, Zaria Turmalin. Einen wahren Wunsch, zu einem Zeitpunkt deiner Wahl, der unwillkürlich in Erfüllung geht.«
Das kann er tun? Ich überlegte, mir zu wünschen, wieder fliegen zu können. Wegzufliegen und Meteor mit mir zu nehmen.
»Es ist eine große Ehre«, erklärte mir der Troll kühl.
Meteor stupste mich an. »Wusschh«, brabbelte er und verzerrte das Gesicht, als bereite ihm das Sprechen Schmerzen.
Wir waren zu lange befreundet, als dass ich nicht verstand, was er meinte. Er wollte, dass ich fragte. Nach diesem einen Wunsch. Diesem wahren Wunsch. Dieser Ehre.
»Der Wunsch«, sagte ich zu den Trollen. »Bitte erklärt mir, wie ich ihn benutzen kann?«
Beide blickten wie versteinert und schwiegen.
Ich versuchte es noch einmal.
»Auf wen kann der Wunsch angewendet werden?«
»Auf jede und jeden des Elfenvolks«, antwortete der orangefarbene Troll.
Auf jede und jeden des Elfenvolks! »Und ich kann ihn zu einem Zeitpunkt meiner Wahl aussprechen? Bedeutet das wirklich zu jedem Zeitpunkt?«
»Tag und Nacht«, erwiderte er so frostig und herablassend, dass ich schon befürchtete, der Wunsch würde sich in Luft auflösen, bevor ich ihn nutzen konnte. Was war, wenn der Troll-König zu dem Schluss kam, dass er doch zu gekränkt war? Was war, wenn er beschloss, dass eine Elfe diese Ehre nicht verdiente?
Ein Wunsch meiner Wahl, der unwillkürlich in Erfüllung ging . Ein Wunsch, den ich jederzeit benutzen konnte, und das auf jede und jeden des Elfenvolks. Diese Magie war mächtiger als meine. Und ich durfte sie nicht verschwenden. Hatte ich nicht oft davon geträumt, was ich tun würde, wenn ich einen Wunsch frei hätte? Ich würde nicht zögern. Ich musste den Wunsch jetzt sofort nutzen, bevor man ihn mir wieder wegnehmen konnte.
Ich würde mir wünschen, dass meine Familie hier war. Bei mir.
Zweifel stiegen in mir auf, Zweifel, die mir sagten, dassich nicht wusste, ob sie noch am Leben waren. Ich beachtete sie nicht.
Der gelbe Troll meldete sich mit schneidender und harter Stimme zu Wort. »Manche Dinge sind verboten, Zaria Turmalin. Dein Wunsch kann keine Portale passieren, und er kann nicht die Toten zurückbringen.«
Ich sah ihn an, während sich in meinen Flügeln Angst ausbreitete. Er hatte gesprochen, als kenne er meine Zweifel – und Hoffnungen. Waren Trolle in der Lage, durch unsere Gedanken zu schweifen? War ihnen alles bekannt, was wir wussten, fühlten und träumten?
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