Zauber der Hoffnung
ohnmächtig auf dem Boden gelegen hättest.“ Claire zog die Augenbrauen hoch. Wow. Das war ungewöhnlich – dass ihre Mutter ihren Exmann kritisierte. „Auch Dr. Murray ist mit meiner Genesung sehr zufrieden. Mit der Gehhilfe und dem Bürostuhl mit den Rollen, den Alex für mich aufgetrieben hat, komme ich im Erdgeschoss überall allein hin. Und ich habe immer mein voll aufgeladenes Handy bei mir.“ „Das ist mir egal. Mir gefällt die Vorstellung trotzdem nicht, dass du allein in diesem großen Haus bist. Vor allem in einer Nacht wie heute.“
Claire schaute nach draußen, wo der Regen laut ans Fenstertrommelte, aufgepeitscht von dem böigen Wind. Über eine Woche lang hatte in Hope’s Crossing schönes Wetter geherrscht, das sie gezwungenermaßen in ihren vier Wänden hatte genießen müssen. Heute war es den ganzen Tag bedeckt und dunkel gewesen, und vor etwa einer Stunde hatten heftige Böen und Regen eingesetzt.
Sie freute sich darauf, eine Tüte Popcorn in die Mikrowelle zu stecken und den Sturm zu genießen. Es war das erste Mal, dass sie seit dem Unfall wirklich allein war.
Seit über einer Woche war sie zu Hause und in dieser Zeit ununterbrochen von wohlmeinenden Freunden umgeben gewesen. Wenn Ruth nicht da sein konnte, sorgte sie dafür, dass jemand vorbeikam. Evie oder Alex oder Angie oder eine ihrer vielen anderen Bekannten.
So viele Leute hatten ihr zu essen vorbeigebracht, dass Claires Gefriertruhe und Kühlschrank inzwischen überquollen. Andere waren mit ihrer Einkaufsliste losgezogen, hatten ihr besorgt, was sie benötigte, und wiederum andere hatten eine Fahrgemeinschaft gebildet, damit die Kinder zum Fußball oder Klavierunterricht konnten. Seit dem kurzen Gespräch mit Maura vor zwei Tagen wusste sie, dass ihre Freundin genauso umhegt wurde.
Claire war für all das zutiefst dankbar, dennoch sehnte sie sich nach einem Augenblick nur mit sich allein, einfach um einmal Zeit zum Nachdenken zu haben.
„Mir gefällt das nicht“, sagte Ruth erneut. „Nicht im Geringsten. Was ist, falls du stürzt? Du könntest dort die ganze Nacht liegen, ohne dass es jemand mitkriegt. Ich komme jetzt und schlafe in deinem Zimmer. Du wirst mich nicht einmal bemerken.“
„Ich werde nicht stürzen. Und wie gesagt, ich habe mein Handy immer bei mir. Wenn ich Hilfe brauche, rufe ich an, schicke eine SMS oder eine E-Mail.“
„Nicht wenn du bewusstlos bist.“
Sie hielt das Telefon vom Ohr weg, verdrehte die Augen und kämpfte gegen den Impuls an, den Hörer ein paar Mal gegen ihre Stirn zu schlagen.
Nach diesen sechs Tagen sollte sie eigentlich Profi sein, was überfürsorgliche Menschen betraf. Ihre Mutter, Holly, selbst die Kinder hatten sich geradezu auf sie gestürzt.
„Mir wird nichts passieren, Mom.“ Wenn ich im Badezimmer hinfalle und mir das Genick breche, wirst du die Erste sein, die ich anrufe . „Ich werde einfach nur auf dem Sofa sitzen, mir eine DVD angucken und dann schlafen gehen. Ich schwör’s. Es ist absolut nicht nötig, dass du vorbeikommst. Ich weiß doch, wie ungern du bei diesem Wetter fährst.“
Daraufhin schwieg ihre Mutter einen Moment, Claire hatte da einen wunden Punkt berührt. Ruth fuhr weder bei Dunkelheit noch bei Schnee oder Regen – ziemlich unpraktisch, wenn man in den Rocky Mountains lebte. Wenn sie bei schlechtem Wetter irgendwohin musste, bat sie üblicherweise Claire, sie dort hinzubringen.
„Bist du sicher?“
Erleichtert atmete Claire auf. „Vollkommen sicher. Mir geht’s gut. Chester leistet mir Gesellschaft, und ich habe genug zu essen im Haus bis mindestens Juli.“
Ruth ließ sich noch einen Moment Zeit, bis sie schließlich einlenkte. „Na gut. Da du offenbar nicht wild auf meine Gesellschaft bist, bleibe ich zu Hause.“
Claire war nicht bereit, sich ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen.
„Aber ruf mich an, wenn du es dir anders überlegst.“
„Das werde ich. Danke, Mom. Gute Nacht.“
Ihre Mutter legte auf, Claire schloss die Augen und ließ sich auf der Couch zurückfallen. Sie genoss die Stille, die nur von Chesters Schnarchen unterbrochen wurde.
Mit ihrer Mutter zu sprechen war immer anstrengend. Manchmal war sie geradezu eifersüchtig auf die leichte, spielerische Beziehung, die Alex und ihre Schwestern zu Mary Ella hatten. So etwas hätte Claire sich auch gewünscht, aber jede Begegnung mit Ruth war anstrengend und frustrierend.
So war sie nicht immer gewesen. Vor dem skandalösen Todihres Mannes war Ruth eine starke,
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