Zauber der Leidenschaft
dieses Seil, das an dem Pfahl befestigt war?
»Denk nicht mal daran!« Als er sich bückte, um es ihr um den Knöchel zu binden, trat sie mit diesen nutzlosen Schuhen um sich. Aber er hielt einfach ihr Bein fest und verknotete das Seil. Als er fertig war, machte er Anstalten, das Zelt zu verlassen.
»Wo gehst du hin? Du kannst mich doch nicht so hier zurücklassen!«
Er blieb stehen, eine Hand auf die Zeltklappe gelegt, und sah sie an. »Du ziehst nur die Feindschaft aller auf dich, wenn du draußen herumläufst. Ich habe sehr viel zu tun und kann nicht ununterbrochen auf dich aufpassen.«
»Dann binde mich los.«
»Keine Chance.« Er zeigte auf ihren Knöchel. »Das Seil ist lang genug, dass du zu der Wache draußen vor dem Zelt gelangen kannst.«
»Wache?«, rief sie. »Meinst du denn, ich könnte fliehen …?« Sie verstummte. »Sie ist zu meinem Schutz da. Wieder einmal lässt du mich wehrlos zurück.«
»Die Wache wird nicht zulassen, dass dir etwas geschieht.«
»Aber was soll ich die ganze Zeit tun?«
»Hier sitzen. Darüber nachdenken, warum andere auf die Idee kommen könnten, dir Sachen an den Kopf zu werfen.«
Während er sich duckte und das Zelt verließ, schrie sie ihm hinterher: »Du lässt mich hier angebunden zurück wie einen Hund? Dann solltest du besser nicht vergessen, dass diese Hündin beißt!«
Und schon war er weg.
Eine Stunde schlich dahin, ehe sich die Zeltklappe wieder öffnete. Überraschenderweise war es der Junge, Puck.
»Was willst du denn hier?«, fuhr Sabine ihn an. Sie hockte sich hin und suchte ihn nach pflanzlichen Wurfgeschossen ab. »Bist du hier, um ein paar Tomaten zu werfen?«
Noch im Eintreten zog er ein Messer aus seiner Tasche. Na toll. Sie würde von einem Knirps abgestochen werden, der einen Tag zuvor noch Windeln getragen hatte.
Doch dann zog er aus der anderen Tasche ein Stück Holz, ließ sich neben ihr nieder und begann, daran herumzuschnitzen.
Oh. »Kannst du mir einen Pfahl machen, der in eine Augenhöhle passt? Für Rydstrom?« Puck runzelte die Stirn, da er sie nicht verstand. »Oder besser noch, kannst du mit deinem kleinen Messerchen das Seil hier durchschneiden?«
Er grinste sie verständnislos an.
Sabine interessierte sich nicht für Kinder, und nachdem mehrere Versuche, ihm seine Rolle in ihrem Fluchtplan verständlich zu machen, gescheitert waren, begann seine Gegenwart bald, sie zu nerven.
»Husch! Verschwinde!«
Er rührte sich nicht.
»Du hast mir jetzt gezeigt, was für ein guter kleiner Holzschnitzer du bist«, sagte sie mit übertrieben fröhlicher Stimme, um dann in normalem Tonfall fortzufahren: »Also hau jetzt endlich ab. Ich muss über wichtige Dinge nachdenken.«
Nichts.
»Oh, jetzt verstehe ich! Du ziehst hier so eine Art Armes-kleines-Waisenkind-Nummer ab und versuchst, mich dazu zu bringen, dich zu mögen, damit du eine neue Mami bekommst, weil ich nämlich verheiratet bin. Dein Geschmack ist allerdings vorzüglich, Dämonenjunge. Nur leider hast du dir die Falsche ausgesucht. Ich eigne mich nicht so gut zur Mami.«
Er sah sie nur mit schief gelegtem Kopf an. Dann streckte er feierlich die Hand aus, als ob er ihr etwas geben wollte.
Sabine bekam gerne Geschenke. »Was ist es? Lass mich mal sehen.« Sie verdrehte die Augen. »Ich bin hier angebunden, völlig hilflos. Ich kann nicht mal meine Hand ausstrecken.«
Er legte ihr etwas aufs Knie, etwas Winziges, Weißes. Sabine war aufgefallen, dass ihm ein Fangzähnchen fehlte. Er hatte es wohl wiedergefunden.
Und offensichtlich hob er es schon eine ganze Weile auf. »Oh, das ist einfach nicht richtig.« Ihr Gesicht verzog sich zu einer angewiderten Miene, und das nicht nur, weil es ekelhaft war. »Weißt du denn nicht, dass man diesen Zahn gegen Gold eintauschen kann? Was ist denn bloß los mit dir?«
32
Niemals hätte Rydstrom gedacht, dass es ihn einmal so glücklich machen würde, eine Frau eifersüchtig zu sehen. Sabine war eifersüchtig auf Durinda . Das hatte sie im Verlauf der letzten beiden Tage mehrfach bewiesen. Dies war ein Anzeichen, dass seine Frau vielleicht doch etwas für ihn empfand – ein Anzeichen, das er niemals erwartet hätte.
Das Puzzle wurde schon wieder kniffliger.
Rydstrom verbrachte einen Großteil seines Tages mit der Dämonin, da sie ihm dabei half, die bevorstehenden Portaldurchquerungen zu organisieren. Die meisten würden in eine der wenigen Städte gehen, in denen die Mitglieder der Mythenwelt zahlreich vertreten waren, wie New
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