Zauber der Vergangenheit
sah ich mich um, während Anthony wie selbstverständlich zum Kamin ging und ein paar Holzscheite hineinwarf. Links der Treppe führte eine niedrige Tür in die Küche. Rechts davon befand sich ein kleiner Salon mit einem gemütlich aussehenden, alten, blauen Sofa, vor dem das Feuer so langsam zu brennen begann.
»Wo sind wir?«, wollte ich wissen.
»In meinem Haus« sagte er mit einem breiten Grinsen.
»In deinem Haus?«, fragte ich ungläubig und machte Kuhaugen.
»Ja, hast du gedacht, ich schlafe auf Bäumen?«
»Ich dachte, du wohnst in Oxford.«
»Nein, da bin ich nur, wenn ich zur Universität gehe. Das Zimmer, in dem wir uns zum ersten Mal getroffen haben, ist mein Arbeitszimmer. Aber jetzt komm und setz dich erst mal vor den Kamin. Ich geh dir schnell ein paar trockene Sachen von oben holen«, sagte er und ging an mir vorbei die Treppe hinauf. Ich erwischte mich dabei, wie ich im Vorbeigehen auf sein nasses Hemd starrte, beziehungsweise auf das, was darunter hindurchschimmerte. Ich war erstaunt. Er hatte ein waschechtes Sixpack vorzuweisen. Für eine Sekunde vergaß ich, weswegen ich sauer auf ihn war. Gott sei Dank bemerkte er es nicht. Manchmal verstand ich mich selbst nicht so genau.
Ich hörte, wie er oben auf und ab ging, und setzte mich vor den Kamin. Meine Sachen waren immer noch tropfnass. Der schöne Teppich, der vor dem Kamin lag, würde sicher ganz entsetzliche Wasserränder bekommen. Langsam kroch mir die Wärme des Feuers in die Zehen und ich konnte meine Füße wieder spüren.
Einen Moment später kam Anthony zurück. Er hatte die nassen Klamotten gegen trockene getauscht und über seinem Arm hingen ein weißes Hemd und etwas, das wie eine altertümliche Shorts aussah.
»Ich hab hier leider so selten Damenbesuch«, witzelte er, als er mir die Sachen zuwarf. »Du kannst dich nebenan umziehen und das nasse Kleid einfach zum Trocknen hinlegen. Bis morgen wird das schon wieder gehen.«
Ich raffte meine Röcke zusammen. Solche Kleider waren hier vielleicht der letzte Schrei, aber sie waren verdammt noch mal total unpraktisch, um sich darin zu bewegen. Ich stolperte mehr hinaus, als dass ich ging, weil sich meine Schuhe immer wieder im nassen Saum meines Kleides verfingen.
In der Küche angekommen, schloss ich die Tür hinter mir und ließ mich auf einen der Stühle fallen. Ich befreite mich von meinen unbequemen Schuhen, die mir schon den ganzen Abend die Zehen eingequetscht hatten, und machte mich dann daran das Mieder zu öffnen. Das war gar nicht so leicht wie gedacht, denn es hatte keine Häkchen aus Metall, sondern war sorgfältig geschnürt, in etwa so, wie man eine Kohlroulade verschnürte, bevor man sie kochte. Ich brauchte einige Zeit, bis ich das Band komplett gelöst hatte und mich endlich aus dem nassen Kleid schälen konnte. Bevor ich es zum Trocknen aufhängte, zog ich mir schnell die Shorts und das Hemd an. Das Hemd war mir ungefähr zwei Nummern zu groß, aber es roch angenehm nach Lavendel. Ich knöpfte es zu und krempelte die Ärmel so weit nach oben, dass meine Hände wieder zum Vorschein kamen. Das Kleid spannte ich wie auf einer Wäscheleine über zwei Stuhllehnen.
Nachdem ich mein Haar vom Uferschlamm befreit und zu einem praktischen Zopf geknotet hatte, ging ich zurück in den Salon. Dort saß Anthony auf dem kleinen, blauen Sofa und starrte ins Feuer. Als er mich erblickte, schmunzelte er.
«Ja, sehr lustig« entgegnete ich und setzte mich neben ihn vor das Feuer.
»Verrätst du mir jetzt vielleicht, warum du überhaupt in den Fluss gesprungen bist?« fragte er, den Blick starr auf die Flammen gerichtet.
»Ich bin nicht gesprungen«, antwortete ich. »Ich bin reingefallen«.
Anthony zog eine Augenbraue hoch, als glaubte er mir nicht.
»Sprich ruhig weiter, ich hör dir zu«, sagte er.
»Da gibt es nichts zu erzählen!« sagte ich bestimmt.
Er atmete einmal hörbar tief ein und aus und sah mich prüfend an.
»Jetzt spuck es schon aus, Violet.« Er nahm meine Hand und strich sanft darüber. Es kribbelte leicht an den Stellen, an denen er mich berührte. Ich erwischte mich bei dem Gedanken, wie es sich wohl an anderen Stellen meines Körpers anfühlen würde, und meine Willenskraft verabschiedete sich.
»Ich hab mich mit Drew gestritten«, gab ich mit einem niedergeschlagenen Seufzer zu.
»Verrätst du mir auch, worüber?« Seine Finger malten ein Muster auf meine Haut.
»Er hat gesagt, dass du nicht der bist, für den du dich ausgibst; dass der
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