Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
mittellosen Poeten?«
»Ja. Nein.« Alexandra schüttelte den Kopf. »Nicht ganz. Das heißt, Nigel war nicht vollkommen ehrlich zu mir.«
»Aha?«
»Er ist ein Poet, aber er ist nicht ganz mittellos. Wie es scheint, steht er an zweiter Stelle der Anwärter für einen hohen Titel und hat bereits ein ansehnliches Vermögen geerbt. Er hat das Geld nie angenommen, weil er fand, dass Geld seine kreative Muse behindert. Der Mann könnte durchaus noch verrückter sein als ich«, erklärte Alexandra und lächelte – ein echtes Lächeln. »Er ist ein sehr netter Mann.«
»Du heiratest?« Judith konnte es nicht glauben.
Alexandra rümpfte die Nase. »Du bist schockiert, nicht wahr? Du hältst es wahrscheinlich für eine entsetzliche Idee und denkst, ich werde dem Mann das Leben zur Hölle machen.«
»Nein! Ganz und gar nicht«, sagte Judith kopfschüttelnd. »Ich finde, das ist wunderbar.«
»Ach ja?«, fragte Alexandra skeptisch. »Warum?«
»Weil du...«, Judith hätte nie erwartet, so etwas einmal über ihre Schwägerin sagen zu können, »glücklich zu sein scheinst.«
»Glücklich?« Alexandra dachte einen Moment nach, bevor sie nickte. »Ja, ich glaube, das bin ich. Ich denke, ich war noch nie glücklicher. Es ist wirklich recht angenehm. Also.« Sie holte tief Luft. »Du verstehst, warum ich weder nach Paris noch sonst irgendwohin reise.«
»Und auch nicht solltest«, meinte Judith. »Ich werde mit meinen Anwälten sprechen und veranlassen, dass das Haus an Mr Howard überschrieben wird.«
»Nein. Wir brauchen dieses Haus nicht, und ich will es nicht.« Alexandra blickte sich um und erschauderte. »Es ist ein dunkles, unheimliches Haus, und der einzige Grund, weshalb ich es jemals wollte, war der, dass du es hattest, obwohl ich es eigentlich hätte bekommen sollen. Ich freue mich schon darauf, für immer von hier fortzugehen.«
»Dann werde ich es verkaufen und den Erlös dem Rest von Lucians Hinterlassenschaft hinzufügen, als Hochzeitsgeschenk oder Aussteuer, wie du willst«, schlug Judith vor. »Es sei denn, du willst das Geld auch nicht.«
»Oh, das Geld nehme ich gern«, sagte Alexandra lächelnd.
»Gut.« Judith lächelte. »Nun, das wär‘s dann.« Hätte jemand Judith auch nur tags zuvor gesagt, sie wäre enttäuscht, dass sie nicht mit Alexandra reisen könnte, und würde sich bemühen, ihre Freundin zu werden, ja, dass sie überhaupt auf die Idee käme, beides zu wollen, sie hätte denjenigen lauthals ausgelacht. Und heute war sie tatsächlich enttäuscht. »Dann werde ich eben allein reisen.«
Alexandra sah sie fragend an. »Was ist mit deinem Lord Warton?«
»Er ist nicht mein Lord Warton.« Judith seufzte. »Und er wird es auch nie sein.«
»Wieso nicht?«
»Weil es nicht möglich ist.«
Alexandra schnaubte kurz. »Wenn es mir möglich ist, Glück zu finden und standesgemäß zu heiraten, dann ist alles möglich. Warum kann dein Lord Warton nicht dein Lord Warton sein?«
»Weil ich Angst habe«, antwortete Judith wahrheitsgemäß, allerdings so überraschend, dass sie sich fragte, ob sie es tatsächlich ausgesprochen hatte. Und sie fragte sich überdies, ob Alexandra der einzige Mensch auf der Welt war, dem sie es gestehen konnte.
»Ja, das kann ich mir vorstellen«, meinte Alexandra mehr zu sich selbst als zu Judith und seufzte. »Ich war in all den Jahren recht unfair zu dir, das weiß ich.«
Judith zuckte mit den Schultern. »Ich konnte dich verstehen.«
Alexandra verdrehte die Augen. »Guter Gott, ich hasse deinen verdammten Edelmut.«
»Ich bin kein bisschen edelmütig. Ich verstand dich, weil ich an deiner Stelle höchstwahrscheinlich genauso gehandelt hätte.«
»Das bezweifle ich. Solange ich dich kenne, warst du immer freundlicher zu den Menschen, als sie verdienten. Womöglich weil du nie auch nur ein bisschen unsicher warst, was deine Stellung in der Welt betrifft, im Leben deiner Eltern, in Lucians Herzen.«
»Und doch war es nicht genug, oder?« Judith schüttelte den Kopf. »Zumindest nicht, was meinen Ehemann anging. Ich habe ihn im Stich gelassen, als er mich brauchte.«
Alexandra sah sie eine Weile schweigend an. »Vielleicht hast du recht. Vielleicht ist es Zeit, dass wir... nun, endlich unsere Differenzen beilegen. Genau genommen bin ich in schwachen Momenten meines Hasses auf dich überdrüssig. Und wir haben vieles gemein. Ich habe stets geschworen, niemals zu heiraten. Die Verrücktheit, du weißt schon.«
Judith lachte kurz. »Unsinn, du bist nicht
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