Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
»Bitte!«
»Wie Sie wünschen.« Judith legte ihr Notizbuch auf den Deckel einer Kiste und bedeutete den Dienstmädchen, die ein paar Kisten bei den Fenstern packten, sie mögen sie allein lassen. Dann ging sie vorsichtig um einen gefährlich hohen Stapel leerer Kisten herum und setzte sich in einen Sessel neben der Couch. Sie faltete die Hände im Schoß und wartete, dass Lady Radbury begann.
»Ich habe mich«, Louisa schloss die Augen, als betete sie um göttlichen Rat, »geirrt. Das sollte ich, wie ich finde, gleich vorweg sagen.«
»Haben Sie?« Judith sah sie fragend an. »Ich muss sagen, das überrascht mich. Wir kennen uns zwar kaum, aber dass Sie zugeben, im Unrecht gewesen zu sein, scheint mir nicht recht zu Ihrem Charakter zu passen.«
»Meine liebe Judith, tut es auch nicht. Sie machen sich ja keinen Begriff, wie schmerzlich es für mich ist einzugestehen, dass ich mich in irgendetwas geirrt habe, in etwas so Wichtigem ganz besonders.« Louisa seufzte theatralisch. »Aber sei es drum. Ich habe mich geirrt.«
»Darf ich fragen, worin Sie sich geirrt haben?«, erkundigte Judith sich vorsichtig.
»In Gideon. In Ihnen. In Ihnen und Gideon.« Louisa gestikulierte ziellos. »Aber vor allem in Gideon.«
»Sie glauben, ich wäre am Ende doch nicht die falsche Frau für ihn?«
Louisa schnaubte verächtlich. »O nein, ich denke, Sie sind vollkommen falsch für ihn. Sie sind ganz und gar nicht die Frau, die er als Ehefrau braucht. Für seine Zwecke sind Sie sogar denkbar ungeeignet.«
»Ich glaube, dieses Gespräch führten wir bereits«, sagte Judith kühl. »Und Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen, denn Lord Warton und ich kamen überein, einen Schlussstrich unter unsere...«
»Worin ich irrte, meine liebe Judith, war in meiner Behauptung, dass mir Gideons Glück nichts bedeutete. Es bedeutet mir doch etwas.« Sie sah Judith streng an. »Es liegt mir sehr am Herzen.«
Judith schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, was Lord Wartons Glück mit mir zu tun hat.«
»Dann irrte ich mich in Ihnen ebenfalls«, stellte Louisa fest. »Sie sind nicht annähernd so intelligent, wie ich vermutete.«
»Das ist durchaus möglich«, konterte Judith scharf, zwang sich jedoch sogleich, ruhig zu bleiben. »Louisa, ich...«
»Er leidet, wissen Sie? Er leidet schon seit ein paar Tagen, aber heute, nachdem Sie gingen...« Louisa seufzte. »Heute hatte er diesen Blick, als hätte er etwas verloren, das ihm kostbarer war als sein Leben.«
Ein schmerzhaftes Brennen stieg in Judiths Kehle auf.
»Falls Sie es noch nicht wissen, er liebt Sie, und ich hege den starken Verdacht, dass Sie ihn ebenfalls lieben. Zumal wenn ich jetzt sehe, welche außergewöhnlichen Maßnahmen Sie ergreifen, um ihn aus Ihrem Leben zu verbannen.«
»Louisa, ich...«
»Judith, während der vergangenen Wochen, die Sie und er einander, nun ja, trafen, habe ich meinen Neffen gesehen, wie ich nie zuvor erlebte. Zum ersten Mal, seit ich in seinem Haus lebe, war er, nun ja...« Sie stöhnte resigniert. »Glücklich. Richtig glücklich. Und wenn es ihn glücklich macht, mit Ihnen zusammen zu sein, dann wäre es nachgerade idiotisch, würden Sie zwei nicht mehr zusammen sein.«
»Sie verstehen nicht«, sagte Judith kopfschüttelnd. »Ich habe nicht den Wunsch, wieder zu heiraten.«
»Auch das ist idiotisch«, stellte Louisa verärgert fest. »Ihnen ist hoffentlich bewusst, dass meine Einwände gegen Sie ausschließlich Ihrem Alter und Ihrer Unabhängigkeit galten, nun ja, und natürlich Ihrer gewiss überzeichneten Reputation. Aber ich denke auch, dass Sie ein... ein guter Mensch sind, und gut für ihn sind Sie auf jeden Fall.« Sie schaute Judith prüfend. »Warum wollten Sie nicht wieder heiraten? Die meisten Frauen wollen es. Selbst ich hätte wahrscheinlich noch einmal geheiratet, wäre ich dem richtigen Gentleman begegnet.«
»Ich will aus genau den Gründen nicht wieder heiraten, die Sie nannten. Ich schätze meine Unabhängigkeit«, erklärte Judith. »Und eine Ehe war genug.«
Louisa sah sie eine Weile schweigend an. »Gideon würde Ihnen niemals wehtun.«
»Hat er Ihnen irgendetwas erzählt?«, fragte Judith, ohne nachzudenken.
»Nein. Nicht ein Wort.« Louisa musterte Judith. »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wissen Sie?«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, sagte Judith unsicher.
»Ich kannte die Mutter Ihres verstorbenen Mannes vor ihrer Ehe, wenngleich sie mehr oder minder nur eine Bekannte war. Und ich sah sie
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