Zauber-Schloss
Decken natürlich!«
Dor schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. Natürlich! Ein Problem beim Ausfragen von unbelebten Dingen bestand darin, daß sie nicht viel Phantasie besaßen und dazu neigten, alles wörtlich zu nehmen. »Decke, versteckst du einen Koboldausgang?«
»Das tue ich«, sagte die Decke. »Du hättest dir eine Menge Ärger ersparen können, wenn du mich gleich gefragt hättest, anstatt diese dämlichen Wände.«
»Warum ist der Gang denn nicht zu sehen?«
»Die Harpyien haben ihn übertüncht, mit Schlamm und Kot. Das weiß doch jeder.«
»Deshalb stinkt es auch so!« rief Millie.
Dor zog sein Schwert. »Sagt mir, wo ich zustoßen muß, um den Gang freizulegen.«
»Genau hier«, sagte die Decke an einer Seite.
Dor grub seine Schwertspitze in die Stelle hinein und drehte die Klinge. Ein Brocken brauner Füllmasse fiel zu Boden. Er grub noch tiefer, und schon bald lag der Gang frei. Aus dem Loch strömte übelriechende Luft.
»Wieso riecht das hier so frisch?« kreischte eine Harpyienstimme in der Höhle.
»Frisch?« rief Dor, der das Gefühl hatte, beinahe zu ersticken. Er und Millie hatten sich einigermaßen an den Geruch der Höhlen gewöhnt, doch jetzt, da es einen Luftzug gab, konnte seine Nase den Unterschied nicht so scharf ausmachen. Aber vielleicht roch diese Brise für Harpyien ja unangenehm.
Die alte Henne erschien im Eingang. »Sie versuchen, sich durch das alte Koboldloch aus dem Staub zu machen!« kreischte sie. »Haltet sie auf!«
Dor trat ihr entgegen, um sie aufzuhalten, das Schwert auf sie gerichtet. Zu Fuß und ohne die Möglichkeit ihrer Flügelkräfte, war die Harpyie im Nachteil und mußte zurückweichen. »Kletter in das Loch hoch!« rief Dor Millie zu. »Flieh durch den Koboldgang!«
Millie starrte in das finstere Loch hinein. »Ich habe Angst!« rief sie. »Da könnte es Nickelfüßler geben!«
Das erschreckte ihn. Nickelfüßler waren heimtückische Insekten, fünfmal schlimmer als Tausendfüßler, deren Zangen aus Nickel bestanden. Sie griffen alles an, was sich im Dunkeln bewegte.
Jetzt drängten immer mehr Harpyien in die Höhle. Sie zollten Dors Klinge zwar Respekt, wichen aber auch nicht weiter zurück als nötig. Er konnte im engen Gang nicht weit ausholen, und außerdem wollte er eigentlich auch kein Blut vergießen. Schließlich waren es halbe Menschen, und Frauen zu töten war gar nicht schön.
Was sollte er nur tun? Vor ihm die drohenden Harpyien, hinter ihm die verzagte Millie, draußen vor der Höhle eine Steilwand – in dieser Lage konnte er niemanden damit übertölpeln, daß er Wände reden ließ. Er saß in der Klemme. Die schmutzigen Vögel konnte er wohl unbegrenzt lange aufhalten, aber entkommen konnte er nicht. Und wenn sie von der Steilwand aus einen Anflugversuch unternehmen sollten, dann würde es noch mehr Ärger geben, denn er konnte unmöglich beide Zugänge bewachen, und Millie war keine große Hilfe. Und irgendwann würden sie beide ermüden und hungrig werden und schlafen müssen. Dann waren sie wieder Gefangene.
»Millie, du mußt einfach diesen Koboldgang emporsteigen!« rief er.
»Das nützt nichts, das nützt nichts!« schrien die Harpyien krächzend.
»Wir wissen, wo er hinausführt, wir halten den Ausgang bewacht. Ihr könnt nicht entkommen!«
Warum sagten sie ihm das dann alles? Es wäre ja wohl einfacher gewesen, ihn am Ausgang des Koboldtunnels zu überfallen. Das mußte also ein Bluff sein.
Da stieß Millie einen Schrei aus. Dor blickte zu ihr hinüber – und sah, wie sich eine riesige, haarige Gestalt aus dem Loch hinabließ. Grüne Augen erwiderten seinen Blick. »Hüpfer!« Wie froh er doch war, die große Spinne wiederzusehen!
»Ich konnte meine Leinen nicht spannen«, schnatterte sie. »Die weiblichen Menschenvögel hätten mich an der Steilwand sofort gesehen. Also mußte ich diesen Weg nehmen.«
»Aber die Harpyien bewachen doch den Ausgang –«
»Das tun sie auch. Aber sie sind mir nicht gefolgt. Wegen der Nickelfüßler.«
»Aber du –«
»Nickelfüßler sind Kneifkäfer. Außerdem hatte ich sowieso Hunger. Sie haben köstlich geschmeckt.«
Natürlich mußte eine Spinne mit großen Käfern zurechtkommen! Aber Harpyien waren doch noch einige Nummern größer. »Wenn wir den Koboldtunnel nicht benutzen können –« begann Dor.
Hüpfer legte eine Leine um Millie und eine weitere um Dor. »Ich stelle ausreichend Seile her, damit ihr bis unten kommt, aber ihr müßt euch selbst hinunterlassen.
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