Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
standen auf. Die Betroffenheit aller war deutlich zu spüren.
Die junge
Frau auf der Bühne hielt den Kopf gesenkt. Nach einer Weile blickte sie auf und
schenkte ihrem Publikum ein zaghaftes Lächeln. »Danke.« Die Konzertbesucher nahmen
wieder Platz. Kraftvoll begann das Orchester mit der ersten Phrase. Fünf Tonschritte.
Als würde ein Zeremonienmeister mit großer Bestimmtheit um Aufmerksamkeit ersuchen
und dabei rasch einen Vorhang aufziehen. Dann folgten kurze aufwärtsstrebende Streicherfiguren.
Verspielt, als versammelten sich leichtfüßige Tänzer auf der Soiree-Bühne eines
Rokokoschlosses. Nach etwa einer Minute war die Orchestereinleitung zu Ende. Die
junge Frau schloss die Augen und ließ ihre Geige erklingen. Merana war vom ersten
Ton an gefesselt. Nun war kein fiktiver Zeremonienmeister mehr nötig, keine Tänzer,
keine Bilder von Perücken tragenden Soireegästen. Nun nahm die junge Frau auf der
Bühne mit dem Spiel ihrer Geige die Regie des musikalischen Geschehens in die Hand.
Und sie ließ diese Führung nicht mehr aus, bis zum Schluss. Die Kadenz am Ende des
ersten Satzes spielte sie, als hätte sie in ihrem ganzen Leben bisher nichts anderes
getan. Merana war bis ins Innerste berührt, wie sie den Spannungsbogen der Melodie
im zweiten Satz hielt. Bei diesem langsamen Satz war die Gefahr groß, das Tempo
zu verschleppen, den Geigenton mit falscher Vibratosüße dahinschmelzen zu lassen.
Von all dem keine Spur. Merana kam das Spiel der jungen Frau wie ein einziger großer
Atem vor, energievoll und gelöst zu gleich, vom ersten bis zum letzten Ton. Und
wären der Schweizerin nicht in den schnellen Läufen gegen Schluss des dritten Satzes
zwei minimale Ausrutscher passiert, hätte man meinen können, dieses Wesen auf der
Bühne käme aus einer anderen Welt. So war es alles in allem die großartige Vorstellung
einer jungen Künstlerin mit enormem Gestaltungswillen, beachtlichem Gespür für die
Magie des Augenblickes in nahezu jeder Passage, verbunden mit der Erkenntnis, dass
sie ihr Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft hatte. Dennoch, eine reife Leistung.
Das Publikum gab seine Begeisterung durch minutenlange Standing Ovations kund. Die
junge Schweizerin wurde nach ihrem Abgang noch gezählte sieben Mal an die Rampe
geholt, erhielt fünf Blumensträuße und drei kleine Teddybären. Und sie schaffte
es bei weitem nicht, die vielen Rosen einzusammeln, die ihr bis zum Schluss auf
der Bühne zuflogen. Beim Abgang wich die Spannung aus ihrem Körper, und Tränen flossen
ihr übers Gesicht.
Merana wollte der jungen Künstlerin
nach der Vorstellung genug Zeit lassen, ihren Triumph zu genießen. Geduldig wartete
er im Korridor neben der Garderobe, bis all die Gratulanten die junge Frau umarmt
und geherzt hatten. Merana hatte Elena Braga gebeten, dafür zu sorgen, dass er nach
dem Konzert in Ruhe mit der jungen Frau reden konnte. Sie hatte versprochen, rechtzeitig
da zu sein. Erleichtertes Lachen war immer wieder hinter der verschlossenen Tür
zu vernehmen, gedämpfter Jubel und Gläseranstoßen.
»Sieh da,
der Herr Kommissar. Ich hatte mir schon fast gedacht, dass du heute hier auftauchen
wirst.« Jutta Ploch war um die Ecke des Korridors gebogen.
»Warum dachtest
du das?« Er begrüßte die Journalistin und küsste sie auf die Wange. »Na, erstens
sagt man dir nach, dass du in letzter Zeit zunehmend einen Blick für schöne junge
Frauen hast …« Er wollte
zu einer scharfen Erwiderung ansetzen.
Sie hob
nur kurz die Hand und schenkte ihm ein freundschaftliches Lächeln. »Lass dich doch
ein bisserl aufziehen, Martin. Zweitens war mir schon klar, dass du in deine Ermittlungen
auch den besonderen Schützling von Anabella Todorova einbeziehen wirst.« Sie warf
einen kurzen Blick zur Garderobentür, hinter der gerade zwei junge Männer mit weiteren
Rosensträußen verschwanden. Dann schaute sie wieder auf den Kommissar. »Ich habe
etwas für dich, Merana. Hast du im Tausch auch etwas anzubieten?« Er überlegte kurz.
»Ich will die Ware vorher sehen.«
Sie deutete
mit dem Kopf zur Garderobe. »Es betrifft die junge Dame da drinnen.«
»Dann lass
bitte hören.«
»Nur wenn
du für mich auch etwas hast.« Er nickte. »Ich denke, du wirst zufrieden sein. Also,
schieß los?«
Die Journalistin
trat näher an den Kommissar und senkte ihre Stimme.
»Ich weiß,
wo die kleine Schweizerin vor kurzem war und was sie da gemacht hat.«
»Wo?«
»In München.«
»Und weiter?
Lass dir nicht jedes
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