Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
sternflammende
Königin der Nacht, die verzweifelt versuchte, Blitze auf die Priester zu schleudern.
Auf dem Ast eines Wunderbaumes hockten Papageno und Papagena, die kicherten und
einander Blätter zuwarfen. Die Geigen und Kontrabässe hatten schon längst zu ihren
rasanten Achtel- und Sechzehntelläufen angesetzt, als sich langsam der störende
Ton in Meranas Bewusstsein grub. Das Geräusch passte so ganz und gar nicht zur Musik.
Merana öffnete die Augen, hob missmutig die dicke Bärenreiter Zauberflöten-Taschenpartitur
von seinen Knien und legte sie neben sich auf die Couch. Er stand auf. Das Mobiltelefon
lag auf der Anrichte. Es war die Großmutter, wie Merana am Display erkannte.
»Hallo,
Oma. Ich fahre in einer Stunde weg, um dich zu holen.«
Die Stimme
der alten Frau war leicht zittrig.
»Tut mir
leid, Martin, aber ich fürchte, es wird nichts aus unserem gemeinsamen Opernbesuch.«
Sie fühle sich heute etwas schwach, schon seit dem frühen Morgen, erklärte sie.
Sie wolle lieber nichts riskieren. Augenblicklich griff die Sorge nach Meranas Herz.
»Hast du
schon den Arzt verständigt?«
»Nein, Martin.
So schlimm ist es nicht. Mach dir bitte keine Gedanken. Ich kenne meinen alten Körper.
Du weißt, dass ich mich auf die Zauberflöte mit dir gefreut habe. Aber ich muss
darauf hören, was mir mein Körper sagt. Bleib heute lieber zu Hause, meint er. Es
ist mir zu anstrengend.«
Erst als
die Großmutter versichert hatte, dass die Nachbarin daheim sei und immer wieder
nach ihr sehe, legte Merana auf. Beruhigt war er dennoch nicht. Die Großmutter hatte
vor einigen Monaten einen Herzanfall gehabt, war im Krankenhaus gelegen. Sie hatte
sich danach allerdings erstaunlich rasch erholt. Hoffentlich kündigte sich hier
kein Rückfall an. In Gedanken versunken setzte er sich wieder auf die Couch. Wen
sollte er heute Abend anstelle der Großmutter mitnehmen? Birgit? Ihr Verhältnis
war seit einiger Zeit ziemlich angespannt. Umso mehr, als Merana in der Vorwoche
ihren gemeinsamen ›Darf-ich-mich-vorstellen?-Tag‹ vergessen hatte. Zum ersten Mal
seit er vor sechs Jahren die aufgebrachte Demonstrantin mit der großen Trommel bei
einem Einsatz auf dem Salzburger Flughafen getroffen hatte und sie bald darauf eine
Beziehung eingegangen waren. Er holte tief Luft und stieß den Atem durch die Nase
aus. Er wollte es dennoch versuchen. Er tippte die Nummer. Birgits Reaktion war
kühl, reserviert. Er hatte nichts anderes erwartet. Erst erzählte er ihr kurz von
der Schwäche der Großmutter, dann stellte er seine Frage. Eine Zeit lang herrschte
Schweigen am anderen Ende der Verbindung.
»Ich weiß
nicht, Martin, ob es so eine gute Idee ist, mit dir heute in die Oper zu gehen.«
Das wusste
er auch nicht, aber jetzt hatte er schon damit angefangen. »Wir könnten danach bei
Sandro essen«, fügte er hinzu. »Wir waren schon lange nicht mehr dort.«
Sie fauchte.
»Martin,
wir sollten nicht gemeinsam Makkaroni essen, sondern miteinander reden.«
Er schwieg.
Aus den Lautsprechern im Raum kam immer noch Musik. Eine Flöte setze zu einer Tongirlande
an, unterstützt von Streichern. Das muss jetzt Takt 183 sein, fuhr es Merana unwillkürlich
durch den Kopf. Er hatte sich in den vergangenen Tagen gründlich mit der Partitur
der Zauberflöte beschäftigt, hatte sogar auf seiner Klarinette die eine oder andere
Passage mitgespielt.
»Martin,
bist du noch da?« Merana schreckte auf. Birgits Stimme klang scharf. »Hast du überhaupt
zugehört?«
»Natürlich
habe ich zugehört. Wir sollten keine Nudeln essen, sondern reden.«
Merana ließ
die Flöte weiterspielen und fügte mit fester Stimme hinzu:
»Was willst
du von mir hören, Birgit?«
Einen Augenblick
lang war Stille.
»Die Wahrheit.«
Die Wahrheit?
Birgits Stimme hallte in Merana nach wie ein Posaunenruf. Die Wahrheit. Welch großes
Wort. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, er säße im Präsidium bei einem Verhör.
Nur sah er sich auf der anderen Seite des Tisches.
»Welche
Wahrheit, Birgit?«
Er konnte
ihre Verblüffung spüren, als sie loslegte.
»Welche
Wahrheit? Das fragt allen Ernstes der große Ermittler Martin Merana? Der Superbulle,
der sich sonst in jeden seiner Fälle verbeißt, bis er sie endlich herausgefunden
hat, die alles erklärende Wahrheit.«
Mit einem
Mal änderte sich ihr Tonfall. Ihre Stimme klang sanft.
»Welche
Wahrheit schon, Martin Merana. Die Wahrheit über dich und mich.
Ich will
wissen, was du denkst, was du fühlst. Über uns. Über
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