Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
gegenüber. Seit sie vor drei Tagen hier angekommen war, saugte Fabienne Navarra
das prächtige Stadtbild jeden Morgen in sich auf. Sie hatte Salzburg bisher nur
von Fotos gekannt. Aber dieser Blick übertraf jede Abbildung. Jedes Mal war sie
von diesem Anblick aufs Neue überrascht. Heute schien das alte Frauenkloster Nonnberg,
auf der linken Seite des Festungsberges, über den Dächern zu schweben. Die weit
entfernten Berge hinter dem Kloster flimmerten fast überirdisch. Die geschwungene
Kuppel des barocken Klosterturmes zeigte sich durch das seitlich einfallende Sonnenlicht
gläsern. Sie musste lächeln.
Sie ließ
ihre Augen wie bei einem Kameraschwenk über die barocke Stadtlandschaft gleiten.
Bei einer großen dunklen Kuppel, die sich vom Blau des Himmels abhob, machten ihre
Augen Halt. Wie hieß diese Kirche doch gleich? Der Name fiel ihr nicht ein. Aber
unmittelbar dahinter, das wusste sie, lag der Festspielbezirk. Ihr Herz begann mit
einem Mal schneller zu schlagen. In drei Tagen würde sie dort, im Haus für Mozart,
auf der Konzertbühne stehen. Sie, Fabienne Navarra aus dem kleinen Altstätten in
der Schweiz gab ihr Debüt bei den weltberühmten Salzburger Festspielen! Und das
drei Tage vor ihrem 16. Geburtstag. Sie nahm die Hände vom Geländer, griff nach
einer unsichtbaren Geige, spielte ein paar schnelle Läufe, hielt inne und stellte
sich vor, wie nach dem Schlussakkord der Applaus aufbrandete. Schon im September
folgte das Konzert in der New Yorker Carnegie Hall, das auch die Todorova-Stiftung
eingefädelt hatte. Und zu Weihnachten dann auch noch der Auftritt in London. Das
Gespräch, das sie vor einem Monat in einem Münchener Caféhaus geführt hatte, fiel
ihr ein. Wenn das Projekt mit der Fernseh-Serie auch noch klappte, dann würde sie
bald nicht mehr auf die Stiftung angewiesen sein. Dann würde sie ihre eigenen Pläne
verwirklichen können. Sie lachte auf und warf noch einen schnellen Blick auf die
Straße unter ihr. Immer noch kein Prinz. Auch wenn die Vorstellung wunderbar war,
und sie halt nun einmal eine romantische Natur hatte, so brauchte sie in Wahrheit
keinen blondgelockten Reiter hoch zu Ross. Sie schaffte es auch so. Ihre langen
braunen Haare flogen wie ein Schleier, als sie sich entschlossen umdrehte und ans
Ende der Terrasse lief. In schnellen Trippelschritten eilte sie die steile Treppe
nach unten in die kleine Wohnung. Dort griff sie nach der Geige, die auf dem Klavier
lag. Das war nicht mehr ein Instrument aus zweifellos guter chinesischer Werkstatt
um 3.000 Euro. Das war eine Geige von Guadagnini, dessen Vater bei Antonio Stradivari
gelernt hatte. Sie küsste ehrfurchtsvoll den Resonanzkörper, dann schlug sie die
Noten auf. »Wolfgang Amadeus Mozart. Konzert für Violine und Orchester Nr.2 in D-Dur
KV 211« stand auf dem Titelblatt. Sie brauchte die Noten nicht. Jede Phrase, jeder
Melodiebogen, jeder Orchestereinsatz waren ihr in Fleisch und Blut übergegangen.
Es war mehr aus Gewohnheit, dass sie die Noten offen liegen hatte, während sie mit
geschlossenen Augen spielte. Sie setzte den Bogen an und ließ ihrer Geige die ersten
Töne entströmen, die sich bald zur verspielt tänzerischen Melodie des 3. Satzes
formten. Rondo. Allegro. Die zierlichen aber kraftvollen Klänge sprudelten durch
das geöffnete Fenster und erreichten das nahe Salzachufer. Einige Leute auf dem
Spazierweg blieben stehen, versuchten wahrzunehmen, woher plötzlich diese feine
Musik kam.
Ist das
Mozart?, fragte ein dunkelhaariger Herr mit leicht italienischem Akzent und richtete
seinen Blick nach oben zu den geöffneten Fenstern des ockerfarbenen Hauses mit der
Dachterrasse. Ja, das ist Mozart, antwortete eine ältere Dame.
Der kleine
Junge an ihrer Seite im Papagenokostüm zerrte heftig an ihrer Hand. Ob Mozart oder
nicht, das war dem Jungen völlig wurscht. Er wollte zum Kinderschminken. Und zwar
gleich. Molto presto.
»Zwei Eier im Glas und eine Melange,
wie immer, Herr Kammersänger?«
Der Kellner
balancierte ein Tablett mit Getränken über den Köpfen der Gäste, die im Freien saßen.
Ferdinand Hebenbronn brummte eine Bestätigung und nahm Platz.
Die Tische
auf der Terrasse des Café Bazar waren bis auf zwei alle besetzt. Zwei Männer und
eine Frau mit Reiseführern, offenbar asiatische Touristen, steuerten auf einen der
unbesetzten Tische zu. Augenblicklich war der Ober zur Stelle und deutete auf das
›Reserviert‹-Schild. »Only inside«, sagte er achselzuckend und deutete in das
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