Zauberkusse
reißt Anna mich aus meinen Gedanken und hält mir eine dunkelblaue Baseballkappe hin, während sie sich mit der anderen Hand einen braunen Schlapphut aufs Haupt setzt. Erschrocken fahre ich zusammen.
»Oh, gute Idee«, stammele ich, setze die Mütze auf und starte den Wagen, weil Gregor gerade langsam davonfährt.
»Hinterher«, befiehlt Anna ruhig und ich gehorche. Aber in meinem Inneren herrscht ein absolutes Chaos. Während wir Gregor in gemessenem Abstand in Richtung Innenstadt folgen, rasen meine Gedanken. Und mein Herz. Was mache ich hier eigentlich? Loretta hatte recht, das war eine ganz, ganz blöde Idee! Aber jetzt ist es zu spät. Ich kann ja Anna schlecht zu Fuß hinter Gregor herlaufen lassen. Also Augen zu und durch!
Im »September« in der Feldstraße trifft Gregor sich mit seiner kleinen Freundin. Richtig geraten, sie ist ebenfalls blond und zierlich. Ob sie helle Augen und eine Lücke zwischen den Schneidezähnen hat, kann ich von hier draußen nicht erkennen. Wir beobachten, wie Gregor an den kleinen Tisch hinten links geht und die Blonde mit einem langen Kuss auf den Mund begrüßt. Gleichzeitig schnappen wir nach Luft. Das war ziemlich eindeutig. Ich muss zusätzlich noch verdauen, dass er sich mit ihr in unserem Lieblingscafé trifft. Und an unserem Tisch. Typisch Mann! Es ist einfacher, die Frau zu wechseln, als die Gewohnheiten. Gerade will ich mich mit Anna beratschlagen, was als Nächstes zu tun ist, da packt sie unvermittelt meine Hand und zieht mich in Richtung Eingangstür.
»He, warte, was willst du«, versuche ich zu protestieren, aber die Frau ist nicht aufzuhalten. Wie eine Furie stürmt sie das Café und schleift mich dabei hinter sich her. Trippelnden Schrittes versuche ich gleichzeitig, mit ihr Schritt zu halten, mir die Kappe vom Kopf zu reißen und durch leichtes Aufschütteln ein wenig Volumen in meinen plattgedrückten Schopf zu zaubern. Immerhin hat Gregor mich seit Wochen nicht gesehen. Wir durchqueren das Kaffee und reißen dabei einer Kellnerin fast ihr schwer beladenes Tablett aus den Händen. Fluchend weicht sie uns aus und verhindert gerade noch das Schlimmste. Ich werfe ihr einen entschuldigenden Blick zu und lasse mich weiter durch den Laden zerren. Wenige Meter vor dem Tisch des Pärchens bleiben wir endlich abrupt stehen. Gregor und die Blonde halten über den Tisch hinweg Händchen und sehen sich verliebt in die Augen. Sie scheinen so ineinander versunken, dass sie nichts um sich herum wahrnehmen. Noch nicht einmal die beiden blonden Frauen, die sie fassungslos anstarren. Gott, ist mir plötzlich schlecht. Ein Blick in Annas grünliches Gesicht zeigt, dass es ihr nicht besser geht. Wohl eher schlechter. Noch immer hält sie meine Hand umklammert und ich mache mir ernsthaft Sorgen, ob sie mir hier gleich umkippt. Das wäre ein denkbar schlechter Augenblick!
»Anna, ist alles in Ordnung?«, wispere ich leise und sie nickt kaum merklich. »Was machen wir denn jetzt?«, will ich wissen, aber sie sieht mich nur hilflos an. Ich sag’s ja, wir hätten uns einen Schlachtplan zurechtlegen sollen. Jetzt stehen wir hier dumm in der Gegend rum. Mein Kopf ist plötzlich wie leer gefegt. In diesem Moment sieht die Blonde auf und schaut irritiert von Anna zu mir.
»Ist irgendwas?«, fragt sie lächelnd. Jetzt hebt auch Gregor den Kopf und schaut zu uns hoch. Er reißt die Augen auf und alle Farbe weicht aus seinem Gesicht.
»Anna«, stößt er hervor. Diese lässt nun meine Hand los und geht mit versteinertem Gesicht auf die beiden zu. Ich folge ihr auf den Fersen. Sie streckt der Blonden, die irritiert von einem zum anderen schaut, ihre schlanke Hand hin und sagt:
»Hallo, ich bin Anna. Gregors Frau.«
»Ich bin Melanie«, kommt es, nach einem kurzen Schockmoment, leise zurück.
»Und ich bin Luzie«, drängele ich mich dazwischen. »Seine Ex-Geliebte.«
»Ich dachte, du hättest deine Frau vor mir noch nie betrogen.« Drei grüne Augenpaare heften sich auf Gregor, der aussieht, als würde er am liebsten im Erdboden versinken. In diesem Moment erscheint die Kellnerin, die wir eben fast umgerannt hätten, mit zwei Milchkaffee. Unsicher bleibt sie ein wenig abseits stehen und kann sich wohl nicht entscheiden, ob es ein geeigneter Zeitpunkt ist, um Getränke zu servieren. Da dreht sich Anna plötzlich zu ihr um und greift nach den Getränken.
»Vielen Dank, ich mache das schon«, sagt sie und baut sich vor Gregor und Melanie auf, in jeder Hand einen Becher. Im Film
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