Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
umzuhängen.
Er würde der erste König der Pirateninseln werden!
2. Lebensschiffe
Die Seeschlange glitt durch das Wasser und folgte mühelos dem Kielwasser des Schiffes. Ihr schuppiger Körper glänzte wie der eines Delphins, aber das Blau war etwas schillernder. Den Kopf hatte sie weit über die Wasseroberfläche gehoben. An ihm hingen gefährlich aussehende Tentakel wie bei einer Seekatze.
Der Blick aus ihren dunkelblauen Augen musterte Brashen wie der einer Frau, die flirtet. Dann riss die Kreatur ihr Maul auf.
Der Gaumen war leuchtend rot und mit endlosen Reihen nach innen geneigter, schräger Zähne besetzt. Ein Mann hätte bequem aufrecht darin stehen können. Die Tentakel auf dem Kopf der Seeschlange richteten sich plötzlich auf: eine Löwenmähne aus giftigen Pfeilen. Und der rote Mund schoss auf ihn zu, als wollte er ihn verschlingen.
Dunkelheit umhüllte Brashen – und der kalte Aasgestank aus dem Maul der Kreatur. Mit einem unartikulierten Schrei warf er sich zurück. Seine Hände stießen auf Holz, und bei dieser Berührung durchströmte ihn Erleichterung. Ein Alptraum. Er atmete zitternd tief durch und lauschte den vertrauten Geräuschen. Das Knarren der Bohlen der Viviace , das Atmen der anderen Schläfer und das leise Schwappen des Wassers gegen den Schiffsrumpf. Über sich hörte er das Klatschen nackter Füße, als jemand eilig einen Befehl befolgte. Alles war vertraut, alles war sicher. Er holte noch einmal tief Luft und sog den Duft des geteerten Holzes ein, den Gestank der Männer, die schon lange in engen Quartieren wohnten, und über allem, so schwach wie ein Frauenparfüm, den würzigen Duft ihrer Ladung. Er streckte sich, presste Schultern und Füße gegen die engen Grenzen seiner hölzernen Koje und rollte sich dann wieder in seine Decke. Er hatte noch Stunden Zeit bis zu seiner Wache. Wenn er jetzt nicht schlief, würde er es später bereuen.
Er schloss die Augen und verscheuchte die Dämmerung des Vorschiffes, aber nach einigen Momenten öffnete er sie wieder.
Brashen spürte, dass sein Traum unmittelbar unter der Oberfläche des Schlafes lauerte und darauf wartete, ihn wieder zu packen und hinabzuziehen. Er fluchte leise. Sicher brauchte er Schlaf, aber er würde kaum zur Ruhe kommen, wenn er erneut in den Traum mit der Seeschlange eintauchte.
Dieser immer wiederkehrende Traum war mittlerweile fast realer für ihn als die Erinnerung. Er beunruhigte ihn zu merkwürdigen Zeiten, meistens dann, wenn er eine größere Entscheidung fällen musste. In diesen Momenten erhob sich die Schlange aus den Tiefen seines Schlafes, um ihre langen Fänge in ihn zu schlagen und ihn hinabzuziehen. Es hatte wenig zu sagen, dass er jetzt ein ausgewachsener Mann war. Und es spielte nicht die geringste Rolle, dass er nun ein genauso guter Seemann war wie jeder andere, mit dem er jemals gesegelt war, ja, sogar ein Besserer als neunundneunzig Prozent der übrigen.
Wenn der Traum ihn packte, wurde er in seine Kindheit zurückgeworfen, in eine Zeit, wo ihn alle verachtet hatten, und das zu Recht.
Er versuchte sich darüber klar zu werden, was ihm am meisten Sorgen bereitete. Sein Kapitän verschmähte ihn. Sicher, das stimmte, aber deshalb war er kein schlechterer Seemann. Er war unter Kapitän Vestrit auf diesem Schiff Erster Maat gewesen, und diesem Mann hatte er seinen Wert bewiesen. Als Vestrit krank geworden war, hatte Brashen kühnerweise gehofft, dass die Viviace in seine Hände gelegt und er zu ihrem Kapitän gemacht werden würde. Stattdessen jedoch hatte der alte Händler sie seinem Schwiegersohn Kyle Haven übergeben. Nun, Familie war Familie, und Brashen konnte das akzeptieren. Dann hatte Kapitän Haven von seinem Recht Gebrauch gemacht, seinen eigenen Ersten Maat zu ernennen, und das war nicht Brashen Trell geworden. Dennoch, auch diese Degradierung war nicht seine Schuld gewesen, und jeder Seemann auf dem Schiff – ach was, in ganz Bingtown – hatte das gewusst. Es war keine Schande. Kyle hatte einfach nur seinen eigenen Mann gewollt. Brashen hatte die Angelegenheit überdacht und war zu dem Schluss gekommen, dass er lieber als Zweiter Maat auf der Viviace dienen würde, als Erster Maat auf einem anderen Schiff zu werden. Es war seine eigene Entscheidung, und er konnte niemandem dafür die Schuld in die Schuhe schieben. Selbst nachdem sie den Hafen verlassen hatten und Kapitän Haven sich ziemlich spät überlegt hatte, dass er lieber einen ihm bekannten Mann zum Zweiten Maat machen
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