Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
ihren Namen geschenkt bekommen hatte. Entgegen Kyles Worten kannte sie das Schiff besser als jeder Seemann, der sich an Bord befand. Sie kannte es, wie nur ein Kind ein Schiff kennen konnte, das darauf aufgewachsen war. Sie kannte Stellen in den Lagerräumen, in die kein ausgewachsener Mann hineinkam. Sie hatte Masten erklommen und war in der Takelage herumgeklettert, wie andere Kinder auf Bäumen tobten. Selbst wenn sie eine reguläre Schiffswache nicht durchstand, kannte sie die Arbeit jedes einzelnen Matrosen an Bord und war in der Lage, sie auszuführen. Sie konnte zwar nicht so schnell Tauenden spleißen wie ihr bester Rigger, aber sie konnte ein schönes, festes Tau herstellen und Segeltuch so gut schneiden und nähen wie jeder Matrose. Sie hatte vermutet, dass ihr Vater sie aus diesem Grund an Bord geholt hatte. Sie sollte das Schiff und alle Handgriffe kennenlernen, die nötig waren, um sie zu segeln. Mochte Kyle sie ruhig als verwöhntes Töchterchen verhöhnen. Sie fürchtete nicht, dass ihr Vater sie geringer schätzte als die drei Söhne, die die Familie an die Blutpest verloren hatte. Sie war kein einfacher Ersatz für einen Sohn: Sie würde Ephron Vestrits Erbe werden.
Sie wusste, dass sie sich Kyles Befehlen widersetzen konnte, ohne irgendwelche Folgen fürchten zu müssen. Aber sehr wahrscheinlich würde er es dann an den Männern auslassen, weil sie seine Befehle nicht umgesetzt hatten. Das wollte sie ihnen nicht antun. Es war ihr eigener Kampf mit Kyle, und sie würde ihn selbst austragen. Auch wenn er etwas anderes glaubte, ging es ihr nicht nur um sich selbst. Die Viviace verdiente eine gute Mannschaft, und bis auf Kyle hatte ihr Vater jeden einzelnen Mann an Bord sehr genau ausgewählt. Er zahlte gut, weit mehr als den Durchschnitt, um fähige und fleißige Leute an Bord zu halten. Althea wollte Kyle keinen Vorwand liefern, einen von ihnen zu entlassen. Erneut beschlich sie das schlechte Gewissen, dass sie mit zu dem Schicksal beigetragen hatte, das Brashen erwartete.
Sie versuchte, nicht an ihn zu denken, aber es gelang ihr nicht.
Er tauchte vor ihrem inneren Auge auf, mit gekreuzten Armen und sah aufgrund seiner Körpergröße von oben auf sie herab, wie er es so oft tat. Die Lippen hatte er missbilligend zusammengepresst, und seine braunen Augen waren nur noch Schlitze. Selbst sein borstiger Bart schien seine Verärgerung auszudrücken. Er war sicher ein guter Matrose und auch ein vielversprechender Erster Maat, aber darüber hinaus hatte der Mann auch noch eine gewisse Haltung. Er hatte zwar den Namen Trell abgeworfen, nicht aber die aristokratische Herkunft der Familie. Sie konnte zwar respektieren, dass er sich bis zum Ersten Maat hochgearbeitet hatte, aber sie fand es immer noch verwirrend, dass er sich bewegte und redete, als wäre es sein Geburtsrecht, Befehle zu erteilen.
Sie rollte sich abrupt aus der Koje und landete leichtfüßig auf dem Boden. Mit zwei raschen Schritten war sie an ihrer Seekiste und klappte den Deckel auf. In ihr befanden sich Dinge, die diese unerfreulichen Gedanken vertreiben konnten. Der Anblick der Mitbringsel für Seiden und Malta trübte einen Augenblick ihre Stimmung. Sie hatte viel Geld für diese Geschenke an Neffe und Nichte ausgegeben. So sehr sie die beiden Kinder auch liebte, jetzt sah sie in ihnen nur Kyles Kinder und die Drohung, dass er sie, Althea, durch sie ersetzen wollte. Sie legte die aufwendig gekleidete Puppe für Malta zur Seite und warf Seidens buntes Wams gleich hinterher. Darunter lagen die Seidenballen aus Tusk. Der silbergraue war für ihre Mutter und der lilafarbene für Keffria. Darunter lag noch ein Ballen grüner Seide, den sie für sich selbst ausgesucht hatte.
Sie strich mit dem Handrücken darüber. Es war wundervoller, fließender Stoff. Sie nahm die cremefarbene Spitze heraus, die sie als Besatz gewählt hatte. Sobald sie nach Bingtown kam, würde sie in die Straße der Schneider gehen. Mistress Violet sollte ihr ein Kleid für den Sommerball daraus nähen. Sie war zwar teuer, aber so feine Seide verdiente eine ausgezeichnete Schneiderin. Althea wollte ein Kleid, das ihre lange Taille und ihre runden Hüften betonte und ihr vielleicht einen Tanzpartner einbrachte, der etwas männlicher war als Brashens kleiner Bruder. Allerdings durfte es nicht zu eng in der Taille werden, entschied sie. Der Tanz auf dem Sommerball war recht lebhaft, und sie wollte frei atmen können. Und weite Röcke mussten es sein, die sich mit den
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