Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
komplizierten Schritten der Tänze bewegten, aber nicht so aufgebauscht, dass sie hinderlich waren. Die Spitze würde ihr dezentes Dekollete umrahmen und es vielleicht etwas ausladender wirken lassen. Sie würde dieses Jahr ihr dunkles Haar aufgesteckt tragen und es mit den Silberklammern feststecken. Ihr Haar war so widerspenstig wie das ihres Vaters, aber seine prachtvolle Farbe und seine Dichte entschädigten reichlich dafür. Vielleicht würde ihre Mutter ihr endlich erlauben, die Perlenkette zu tragen, die ihre Großmutter ihr hinterlassen hatte. Offiziell gehörten sie Althea, aber ihre Mutter schien sich nicht durchringen zu können, sie aus der Hand zu geben, und führte häufig ihre Seltenheit und ihren Wert als Gründe dafür an, dass sie nicht achtlos getragen werden sollte. Sie würde sehr gut zu den silbernen Ohrringen passen, die sie in Bingtown gekauft hatte.
Sie stand da und schüttelte die Seide auf. Dann hielt sie sich eine Bahn vor den Körper. In dem Raum befand sich nur ein winziger Spiegel. Sie konnte kaum mehr als ihr gebräuntes Gesicht über der grünen Seide erkennen, die sie sich über die Schulter drapiert hatte. Sie glättete den Stoff, aber ihre rauhen Hände blieben darin hängen. Dafür hatte sie nur ein Kopfschütteln übrig. Sie würde sie jeden Tag mit einem Bimsstein bearbeiten müssen, wenn sie wieder zu Hause war, um die Schwielen abzubekommen. Sie liebte es, auf der Viviace zu arbeiten, und fühlte, wie das Schiff auf ihre seemännische Arbeit reagierte, aber es forderte einen hohen Tribut von ihren Händen und ihrer Haut. Ganz zu schweigen von den blauen Flecken an ihren Beinen. Es war der zweitwichtigste Einwand gewesen, den ihre Mutter bei ihrem Vater gegen Altheas Segelei erhoben hatte. Dass es ihr Erscheinungsbild bei gesellschaftlichen Ereignissen vollkommen ruinierte. Ihr Haupteinwand war, dass ihre Tochter lieber zu Hause sein und lernen sollte, Haus und Hof zu führen. Althea sank der Mut, als sie sich fragte, ob ihre Mutter sich letztlich doch durchsetzen würde. Sie ließ die Seide aus den Händen gleiten, streckte sie hoch und berührte die schweren Balken, die das Deck der Viviace stützten.
»Ach, Schiff, sie dürfen uns jetzt nicht trennen. Nicht nach all den Jahren, nicht jetzt, wo du so kurz vor dem Erwachen bist. Niemand hat das Recht, uns das zu nehmen.«
Sie flüsterte die Worte, weil sie wusste, dass es überflüssig war, sie laut zu sprechen. Sie und das Schiff waren eng miteinander verbunden.
Und sie hätte schwören können, dass als Antwort ein kaum spürbares Beben durch das Schiff lief. »Dieses Band zwischen uns hat mein Vater gewollt; deshalb hat er mich an Bord gebracht, als ich noch so jung war. Dass wir uns bereits kennen, wenn wir beide erwachsen sind.«
Erneut bebten die Planken des Schiffes, aber so schwach, dass ein anderer es vielleicht nicht bemerkt hätte. Althea dagegen kannte die Viviace zu gut, um sich täuschen zu lassen. Sie schloss die Augen und ließ sich in das Schiff strömen, mitsamt ihren Ängsten, ihrer Wut und ihren Hoffnungen. Als Antwort erntete sie eine leise Regung des noch schlummernden Geistes der Viviace , der sie sanft tröstete.
In den noch kommenden Jahren, nachdem die Viviace erwacht war, würde sie diejenige sein, mit der das Schiff am liebsten sprechen würde. Es würde ihre Hand sein, auf die das Schiff am schnellsten reagierte. Althea wusste, dass es für sie bereitwillig vor dem Wind segeln und aus ganzem Herzen mit ihr gegen eine schwere See ringen würde. Zusammen würden sie Handelshäfen und Güter suchen, denen nicht einmal die Händler von Bingtown das Wasser reichen konnten, Wunder, die selbst jene des Volkes der Regenwildnis übertrafen. Und wenn sie starb, würde es ihr Sohn oder ihre Tochter sein, die hinter das Ruder trat, nicht einer von Kyles Nachkommen. Das gelobte sie sich und dem Schiff. Althea wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab und bückte sich, um die Seide vom Boden aufzusammeln.
Er döste auf dem Sand. Dösen. Das war ein Wort, welches die Menschen ständig benutzten, aber er hatte niemals akzeptiert, dass dies, was er tat, auch nur annähernd dem Schlaf glich, dem sie sich hingaben. Er glaubte nicht, dass ein Zauberschiff schlafen konnte. Nein. Selbst diese Flucht war ihm verwehrt.
Stattdessen konnte er sich irgendwohin in seinen Verstand flüchten und sich so tief in die Vergangenheit versenken, dass die tödliche Langeweile der Gegenwart verblasste. Es gab einen Ort
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