Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
gehen, kämpfte er dagegen an, wie er sein ganzes Leben lang gegen alles gekämpft hatte, was ihm nicht gefiel. Althea reichte ihm den Pflock, und er packte ihn, als würde er ihn retten können. »Ich ersaufe«, stieß er mühsam hervor. »Ich ersaufe auf einem trockenen Deck!«
Die merkwürdige Szene schien für eine Weile wie eingefroren.
Althea und ihr Vater hielten jeweils ein Ende des Pflockes fest.
Tränen rannen ungehemmt über ihr fassungsloses Gesicht. Ihr wirres Haar klebte an ihren feuchten Wangen. Die Augen hatte sie weit geöffnet, als sie besorgt in die schwarzen, glänzenden Augen ihres Vaters blickte. Sie wusste, dass sie nichts weiter für ihn tun konnte.
Ephron tastete mit seiner freien Hand über das Deck, als versuche er, einen Halt auf den blank gescheuerten Planken zu finden. Er holte erneut gurgelnd und erstickt Luft. An den Ecken seines Mundes bildete sich blutiger Schaum. Andere Mitglieder der Familie drängten sich um sie. Die ältere Schwester klammerte sich fest an ihre Mutter, sprachlos vor Trauer, aber die Mutter flüsterte leise in ihr Haar, während sie sie umarmte. Das Mädchen weinte, von Entsetzen geschüttelt, und klammerte sich an ihren verwirrten kleineren Bruder. Der älteste Enkel stand abseits von der Familie, bleich im Gesicht und gefasst wie jemand, der Schmerzen ertragen kann. Kyle hatte sich mit verschränkten Armen zu Füßen des Sterbenden aufgebaut. Brashen hatte keine Ahnung, was hinter dieser stillen Fassade vor sich ging. Es hatte sich ein zweiter Kreis gebildet, in respektvollem Abstand zum Baldachin. Die reglose Mannschaft hatte sich mit den Mützen in der Hand versammelt, um dem Dahinscheiden ihres Kapitäns beizuwohnen.
»Althea!«, rief die Frau des Kapitäns plötzlich. Im gleichen Moment stürzte die ältere Tochter vor, auf ihren Vater zu. »Du musst«, sagte sie mit einer tiefen, merkwürdigen Stimme. »Du weißt, dass du es musst.«
Ihre Stimme klang seltsam nüchtern, als müsse sie sich zu einer höchst unerfreulichen Pflicht zwingen. Der Ausdruck auf dem Gesicht der älteren Tochter, Keffria, so heißt sie, dachte Brashen, schien Scham und Trotz gleichzeitig auszudrücken. Keffria ließ sich plötzlich neben ihre Schwester auf die Knie fallen und streckte ihre blasse, zitternde Hand aus. Brashen dachte, sie würde ihren Vater berühren. Stattdessen legte sie ihre Hand entschlossen um den Pflock – zwischen die Hand ihres Vaters und die von Althea.
Selbst als Keffria ihren unmissverständlichen Anspruch auf das Schiff deutlich machte, indem sie ihre Hand über die von Althea legte, musste ihre Mutter es für sie bestätigen.
»Althea, lass den Pflock los. Das Schiff gehört deiner Schwester, schon aufgrund des Geburtsrechts. Und auch nach dem Willen deines Vater.«
Die Stimme ihrer Mutter bebte, als sie diese Worte aussprach, aber sie sagte sie klar und deutlich.
Althea sah ungläubig hoch, und ihr Blick glitt über Hand und Arm zum Gesicht ihrer Schwester. »Keffria?«, fragte sie verwirrt. »Das ist doch nicht dein Ernst!«
Die Miene der älteren Tochter wurde unsicher, und sie sah zu ihrer Mutter hoch. »Es ist ihr Ernst!«, erklärte Ronica Vestrit energisch. »So muss es geschehen, Althea. Es ist so, wie es sein muss, um unser aller willen.«
»Papa?«, fragte Althea gebrochen.
Der Blick der dunklen Augen ihres Vaters hatte ihr Gesicht niemals verlassen. Er öffnete den Mund und sprach seine letzten Worte: »… Lass los…«
Brashen hatte einmal auf einem Schiff gearbeitet, wo der Erste Maat ein bisschen zu freigiebig mit dem Splisseisen umgegangen war. Meistens benutzte er es, um Burschen von hinten zu schlagen, Matrosen, die seiner Meinung nach nicht achtsam genug ihre Arbeit ausführten. Mehr als einmal war Brashen unfreiwillig Zeuge geworden, welcher Ausdruck auf dem Gesicht eines Mannes lag, wenn dieses Werkzeug mit seinem Hinterkopf zusammenprallte. Er kannte den Ausdruck auf dem Gesicht eines Menschen, wenn man vor Schmerzen vollkommen betäubt ist. Genau mit dieser Miene blickte Althea ihrem sterbenden Vater bei seinen Worten ins Gesicht. Sie lockerte den Griff um den Pflock, und ihre Hand rutschte ab und fiel auf den dünnen Arm ihres Vater. An dem hielt sie sich fest wie ein Seemann, der sich in einer sturmgepeitschten See an ein Wrackteil klammert. Sie blickte weder ihre Mutter noch ihre Schwester an. Sie hielt nur den Arm ihres Vaters fest, während er nach Luft schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen.
»Papa«,
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