Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
einer Ebene mit ihm war. Dann streckte er die Hand aus. »Aber ich bin keiner. Ich bin nur ein ehrlicher Seemann aus Bingtown, den ein bisschen das Glück verlassen hat.« Einen Moment glaubte er fast, dass es stimmte. Einen Augenblick konnte er fast das kleine Stück Cindin vergessen, auf das seine suchenden Finger in einer Ecke seiner Jackentasche gestoßen waren.
16. Verantwortung übernehmen
Althea sah ihm hinterher, als er wegging. Sie hatte ihn nicht gemeinsam mit ihrer Mutter zur Tür begleitet. Stattdessen war sie in die alte Dienstmädchenkammer im obersten Stockwerk des Hauses gestürmt. Sie hatte in dem staubigen Raum kein Licht entzündet und war nicht einmal dicht ans Fenster getreten. Falls Brashen sich umdrehte und er sie womöglich sah! Das fahle Mondlicht wusch alle Farben aus seiner Kleidung. Er ging langsam, blickte nicht zurück und schwankte, als würde er über ein Deck schreiten statt über eine Auffahrt.
Althea hatte Glück gehabt, dass sie gerade mit Malta rangelte, als sie an diesem Abend ins Arbeitszimmer gekommen war. Sie glaubte nicht, dass Brashen ihre Panik bei seinem Anblick bemerkt hatte. Ihr Schreck über die entsetzte Miene ihrer Mutter und Keffrias hätte beinahe ihr Herz zum Stillstand gebracht. Einen entsetzlichen Moment lang dachte sie, er wäre zu ihrer Mutter gegangen, hätte alles gebeichtet und angeboten, Altheas Ehre wiederherzustellen, indem er sie heiratete. Selbst als sie Brashens tatsächliche ernste Nachrichten hörte, war sie dennoch irgendwie erleichtert, dass sie nicht öffentlich zugeben musste, was sie getan hatte.
Was sie selbst getan hatte. Sie konnte das jetzt akzeptieren. Ambers Worte hatten sie schon vor Wochen gezwungen, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Mittlerweile schämte sie sich beinahe, dass sie sich hinter Ausflüchten versteckt hatte. Was sie getan hatten, hatten sie wirklich zusammen getan. Wenn sie sich selbst als Frau und Erwachsene respektieren wollte, konnte sie nichts anderes behaupten. Sie hatte nur anders geredet, weil sie nicht für eine solch verantwortungslose Handlung die Schuld übernehmen wollte. Das gestand sie sich endlich ein. Hätte er sie wirklich hereingelegt oder sie ins Bett gezwungen, hätte sie den Schmerz rechtfertigen können, den sie seitdem empfand. Sie wäre eine Frau, der man Unrecht getan hatte, die unschuldig verführt wurde und von einem herzlosen Seemann einfach sitzen gelassen worden war. Aber das hätte sie beide beleidigt.
Althea war an diesem Abend nicht in der Lage gewesen, ihm in die Augen zu blicken, und genauso wenig konnte sie verhindern, dass sie ihn immer wieder ansehen musste. Sie hatte ihn vermisst. Immer wieder hatte sie ihn verstohlen angeschaut und sein Bild in ihr Gedächtnis eingebrannt, als könnte sie damit eine Art Hunger stillen. Die verheerenden Nachrichten, die er überbrachte, waren zwar äußerst schmerzhaft, aber ihre verräterischen Augen hatten nur seine dunkel glänzenden Augen gemustert. Sie hatte seine Muskeln betrachtet, die sich unter seinem Seidenhemd abzeichneten. Ihr war natürlich auch die Cindin-Wunde an seinem Mundwinkel aufgefallen. Er nahm die Droge also immer noch. Seine Aufmachung als Freibeuter stieß sie ab. Es schmerzte und enttäuschte sie, dass er zum Piraten geworden war. Dennoch stand ihm diese Kleidung viel besser, als die nüchterne Kluft eines Bingtowner Händlersohnes jemals zu ihm gepasst hatte. Alles an ihm missbilligte sie, und trotzdem fing ihr Herz allein bei seinem Anblick an zu rasen.
»Brashen«, flüsterte sie allein in der Dunkelheit. Sie schüttelte den Kopf, während er allmählich aus ihrem Blickfeld verschwand. Du empfindest nur Bedauern, sagte sie sich. Mehr nicht. Sie bedauerte, dass sie mit ihm ins Bett gegangen war und so ihre unbeschwerte Kameradschaft zerstört hatte. Sie bedauerte, dass sie sich so weit hatte gehen lassen, etwas derartig Unschickliches mit einer derart unangemessenen Person zu tun. Sie bedauerte auch, dass er aufgegeben hatte und nicht der Mann geworden war, für den ihr Vater ihn gehalten hatte. Sie bedauerte sein schlechtes Urteilsvermögen und seinen schwachen Charakter. Mehr empfand sie nicht. Nur Bedauern.
Sie fragte sich, was ihn wohl nach Bingtown zurückgebracht hatte. Er war sicher nicht den ganzen Weg zurückgekommen, um ihnen zu sagen, dass die Viviace gekapert worden war. Bei dem Gedanken an ihr Schiff verstärkte sich der Schmerz in ihrem Herzen. Es war schon schlimm genug gewesen, sie an Kyle
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