Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
dass die Pfeile, die aus ihrer Takelung zischten, menschliches Leben auslöschten, ließ sie es sich nicht anmerken. Aus dieser Entfernung war das Gemetzel ein buntes, bewegtes Spektakel. Ein Mann fiel aus den Wanten der Brummbär. Er schlug gegen ein Rundholz, baumelte kurz daran und stürzte dann auf das Deck hinunter. Wintrow zuckte bei dem Aufprall zusammen, aber Viviace rührte keinen Muskel. Ihre Aufmerksamkeit war auf das Vordeck gerichtet, wo der Kapitän des Schiffes gegen Sorcor kämpfte. Kapitän Averys feines Schwert glitzerte wie eine Silbernadel, als er es gegen den schwerfälligeren Piraten schwang. Sorcor schlug die Waffe mit einem Kurzschwert in seiner Linken beiseite und führte mit dem langen Schwert in seiner Rechten einen eigenen Angriff. Zwischen den beiden tanzte der Tod. Viviaces Augen glänzten hell.
Wintrow warf Kennit einen Seitenblick zu. Hier konnte sie aus der Entfernung die ganze Aufregung des Kampfes verfolgen, aber sie war vor dem Entsetzen geschützt. Kein Blut ergoss sich auf ihre Decks, und der Wind verwehte den Rauch und die Schreie der Sterbenden und Verwundeten. Wie ein Fleck, der sich allmählich ausbreitete, verteilten sich die Piraten langsam über das Deck des gekaperten Schiffes. Viviace sah es alles, blieb aber davon unberührt. Wollte Kennit sie allmählich an die Gewalt gewöhnen?
Wintrow räusperte sich. »Da drüben sterben Menschen«, sagte er nachdrücklich. »Leben enden in Schmerz und Furcht.«
Viviace sah ihn kurz an und richtete ihren Blick dann wieder auf den Kampf. Es war Kennit, der ihm antwortete. »Sie haben es sich selbst zuzuschreiben«, meinte er. »Sie haben sich freiwillig dafür entschieden und wussten sehr wohl, dass die Möglichkeit bestand, dass sie sterben. Ich spreche nicht nur von meinen eigenen tapferen Männern, die bereit sind, sich in den Kampf zu stürzen. Die Leute an Bord der Brummbär haben damit gerechnet, angegriffen zu werden. Sie haben es geradezu herausgefordert. Sie haben ihre Bereitschaft dazu schon mit ihrer Prahlerei kundgetan. Vergiss nicht, dass sie alle mit Rüstungen, Schwertern und Bogen ausgerüstet waren. Hätten sie solche Dinge an Bord, wenn sie keinen Kampf erwarten würden?« Kennit lachte. »Nein«, beantwortete er die Frage selbst. »Das ist kein Gemetzel, was du da drüben siehst. Es ist ein Kampf um die Vorherrschaft. Man könnte sogar behaupten, dass es die physische Manifestation des ewigen Konflikts zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit ist.«
»Dort sterben Menschen«, wiederholte Wintrow eigensinnig. Er versuchte, seinen Worten mehr Überzeugungskraft zu verleihen, aber er musste feststellen, dass seine Selbstsicherheit bei den plausiblen Worten des Piraten schwand.
»Menschen sterben immer«, stimmte ihm Kennit schnell zu. »Während wir beide hier an Deck stehen, verblassen wir schon, verwelken wie die kurzlebigen Sommerblumen. Viviace wird uns alle überleben, Wintrow. Der Tod ist nicht so schlimm. Sie hat viele Tode in sich aufgenommen, damit sie erwachen konnte, stimmt das nicht? Sieh es doch so, Wintrow: Ist sie mit jedem Tag, der verstreicht, Zeuge unseres Lebens, das vergeht, oder unseres Todes? Man kann sowohl das eine als auch das andere sagen. Sicher, da drüben herrschen Schmerz und Gewalt. Sie gehören zum Leben aller Kreaturen, und an sich ist das nichts Schlechtes. Die Gewalt einer Flut entwurzelt Bäume am Ufer, aber der nahrhafte Boden und das Wasser, das diese Flut mit sich bringt, entschädigen dafür. Wir sind Kämpfer für das Recht, meine Lady und ich. Wenn wir das Böse hinwegfegen müssen, dann sollten wir es schnell tun, selbst wenn das Schmerz bedeutet.«
Seine Stimme war tief und klang wie ferner Donner. Und sie war mitreißend. Irgendwo in dieser lückenlosen Logik steckte der Wurm, das wusste Wintrow. Wenn er ihn bloß finden könnte. Dann könnte er die ganzen Argumente des Mannes entkräften. Er zog sich auf einen Satz zurück, den er einmal in einem Buch gelesen hatte. »Einer der Unterschiede zwischen Gut und Böse ist der, dass das Gute die Existenz des Bösen ertragen kann und trotzdem überlebt. Das Böse jedoch wird vom Guten stets ein für allemal ausgelöscht.«
Kennit lächelte herzlich und schüttelte den Kopf. »Wintrow, Wintrow, denk über das nach, was du gerade gesagt hast. Was für ein finsteres Gutes soll das sein, das dem Bösen erlauben kann weiterzumachen? Das Gute, das zum Beispiel von der Sorge um die eigene Bequemlichkeit und Sicherheit
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