Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
ausging.
»Schneid endlich, verdammt!«, schrie Etta Wintrow an. »Bring es hinter dich! Tu es endlich!«
Wintrow kniete, wie betäubt von Kennits Qualen, neben ihm. Sie überschwemmten ihn wie eine Welle Eiswasser, schockierten ihn und schienen ihn mit ihrer Intensität zu ertränken. Die Erfahrung des anderen Mannes strömte durch seine dünne Verbindung mit dem Schiff und in Wintrow hinein.
Kennit holte rasselnd Luft und schrie laut auf. Wintrow zersplitterte wie ein kaltes Glas, das man mit kochendem Wasser füllt. Er war niemand, nichts, und dann war er Viviace und plötzlich wieder Wintrow. Er fiel nach vorn, mit den Handflächen auf das Deck, und sog seine Identität aus dem Holz. Ein Vestrit, er war ein Vestrit, mehr noch, er war Wintrow Vestrit, der Junge, der eigentlich Priester hätte werden sollen…
Kennit schüttelte sich heftig und lag plötzlich bewusstlos da. In der folgenden Stille klammerte sich Wintrow an sein Gefühl von sich selbst, hüllte sich darin ein. Irgendwo ging das Gebet weiter: Gnade, Stärke. Gnade, Stärke. Es war Viviace, die damit seinen Atemrhythmus steuerte. Dann übernahm er wieder die Kontrolle über sich. Etta weinte und fluchte gleichzeitig. Sie hatte sich über Kennits Brust geworfen, ihn gleichzeitig umarmend und niederdrückend. Wintrow ignorierte sie. »Haltet ihn fest!«, befahl er gepresst. Er griff nach einem beliebigen Messer und verstand plötzlich, was er tun musste. Geschwindigkeit. Geschwindigkeit war die Essenz. Ein solch ungeheurer Schmerz konnte einen Menschen töten. Wenn er Glück hatte, konnte er die Amputation beenden, bevor Kennit das Bewusstsein wiedererlangte.
Er setzte das glänzende Messer an das geschwollene Fleisch und zog es darüber, während er es gleichzeitig niederdrückte. Niemand hatte ihn auf das Gefühl vorbereitet. Er hatte dem Fleischer im Kloster beim Schlachten geholfen. Es war keine besonders erfreuliche Aufgabe gewesen, aber sie hatte erledigt werden müssen. Damals hatte er jedoch durch kaltes Fleisch geschnitten, das sich nicht bewegte und schon fest war. Kennits Fleisch dagegen lebte. Seine fiebernde Weichheit gab der scharfen Schneide des Messers leicht nach und schloss sich sofort dahinter wieder. Das Blut strömte in die Wunde und erschwerte ihm die Arbeit. Er musste Kennits Bein unter dem Punkt halten, in den er schnitt. Die Haut war heiß, und seine Finger sanken viel zu leicht ein. Er versuchte, rasch zu schneiden. Das Fleisch unter dem Messer bewegte sich, die Muskeln zuckten und schnappten zurück, als Wintrow sie durchtrennte. Das Blut strömte in einer unablässigen roten Flut aus der Wunde. Nach einem Moment war der Griff seines Messers klebrig und glitschig. Das Blut rann auf das Deck unter Kennits Bein, breitete sich aus und wurde von Wintrows Robe aufgesaugt. Er sah Sehnen, glänzende weiße Bänder, die verschwanden, sobald sein Messer sie teilte. Es schien ewig zu dauern, bis das Messer auf den Knochen traf. Und von ihm abglitt.
Wintrow warf das Messer zur Seite und wischte sich die Hände an seinem Hemd ab. »Säge!«, rief er.
Jemand schob sie ihm hin, und er griff danach. Es machte ihn beinahe krank, sie in die Wunde hineinschieben zu müssen, aber er schaffte es. Er zog sie über den Knochen. Das Geräusch war schrecklich, ein nasses Knirschen.
Kennit kam wieder zu sich und heulte wie ein Hund. Er hämmerte seinen Kopf gegen das Deck, und trotz der Männer, die ihn niederhielten, gelang es ihm, sich hin und her zu winden. Wintrow rechnete damit, von dem Schmerz des Piraten überwältigt zu werden, aber Viviace hielt ihn zurück. Er kam nicht dazu zu überlegen, was diese Anstrengung sie kostete, ja er hatte nicht einmal die Zeit, dankbar zu sein. Er drückte auf die Säge und arbeitete schnell und rücksichtslos. Blut spritzte über das Deck, seine Hände und hinauf bis zu seiner Brust. Er schmeckte es sogar. Dann gab der Knochen plötzlich nach, und bevor Wintrow aufhören konnte, zerfetzte er mit der Säge das Fleisch. Er riss die Säge aus der Wunde, warf sie beiseite und tastete nach einem neuen Messer. Gedämpft hörte er, wie Kennit Schreie ausstieß, die kaum noch Ähnlichkeit mit menschlichen Lauten hatten. Ein platschendes Geräusch folgte.
Wintrow nahm den sauren Geruch von Erbrochenem wahr. »Passt auf, dass er nicht erstickt!«, rief er. Aber nicht Kennit hatte sich übergeben, sondern einer der Männer, die ihn festhielten. Dafür war keine Zeit. »Halt ihn fest, verdammt noch mal!«, schrie
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