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Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger

Titel: Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Wintrow den Mann an. Er durchtrennte mit dem Messer das Fleisch und hörte erst auf, als er das Bein fast vollständig abgetrennt hatte. Er hielt das Messer ein wenig schräg und schnitt so ein größeres Stück Haut von dem Stumpen, bevor er den letzten Schnitt tat und die verrotteten Reste des Beins beiseite schob.
    Dann betrachtete er angeekelt sein Werk. Das war kein fein säuberlich geschnittenes Stück Fleisch eines Sonntagsbratens. Dies hier war lebendiges Fleisch. Die Muskeln lagen frei und zogen sich ungleichmäßig zusammen. Der Knochen sah zu ihm hinauf wie ein Auge, das ihn anklagend musterte. Überall war Blut. Wintrow war fest davon überzeugt, dass er den Mann umgebracht hatte.
    Denk das nicht, warnte ihn Viviace. Ihr nächster Gedanke war beinahe flehentlich. Zwing ihn nicht dazu, das zu glauben. Im Moment muss er alles glauben, was wir denken, so wie wir miteinander verbunden sind. Er hat keine andere Wahl.
    Wintrow tastete mit blutverschmierten Händen nach der kleinen Flasche mit der Kwazi-Fruchtrinde. Er hatte von ihrer Macht gehört, aber um einen solchen Schmerz zu lindern, kam ihm die Menge viel zu kläglich vor. Er öffnete den Verschluss und versuchte, die Flüssigkeit zu dosieren, damit er auch noch ein Schmerzmittel für den nächsten Tag hatte. Die Rindenstücke verstopften den Ausfluss. Wintrow schüttelte die Flasche, und die Tropfen spritzten unkontrolliert heraus. Wo sie auf Kennits Haut trafen, linderten sie sofort den Schmerz. Er wusste es, weil er es durch Viviace spürte. Als er die Flasche wieder verschloss, befand sich kaum noch die Hälfte der Flüssigkeit darin. Er biss die Zähne zusammen und berührte das Fleisch, das er eben durchtrennt hatte, um die zähe grüne Flüssigkeit gleichmäßig zu verteilen. Das Nachlassen des Schmerzes war, als würde man von einer Welle an Land gespült. Ihm war nicht bewusst geworden, wie viel von Viviaces Schild abgehalten wurde, bis es aufhörte. Und er spürte Viviaces Erleichterung.
    Anschließend versuchte er, sich alles ins Gedächtnis zu rufen, was er Sa'Parte hatte tun sehen, als dieser ein Bein amputiert hatte. Er hatte die Enden einiger blutender Arterien zugebunden, sie gefaltet und dadurch verschlossen. Wintrow versuchte es. Er war plötzlich müde und verwirrt und konnte sich nicht erinnern, wie viel der Heilpriester genäht hatte. Wintrow wollte nur noch weg von der glorreichen Schlachtplatte, die er hier angerichtet hatte. Er sehnte sich danach zu flüchten, sich irgendwo zu einem Ball zusammenzurollen und das alles von sich abzustreifen. Aber er zwang sich weiterzumachen. Den Hautlappen faltete er über das rohe Ende von Kennits Stumpen. Er musste Etta bitten, mehr Haar von dem Kopf des Piraten zu zupfen und die feinen Nadeln für ihn einzufädeln. Kennit lag vollkommen ruhig da und atmete vernehmlich. Als die Männer ihren Griff lockerten, tadelte Wintrow sie sofort.
    »Haltet ihn weiter fest. Wenn er sich rührt, während ich nähe, reißt er vielleicht alles auseinander.«
    Der Hautlappen passte nicht ganz. Wintrow bemühte sich, ihn zu dehnen, wo es nötig war. Er bandagierte den Stumpen mit Leinen und verband ihn mit Seide. Doch genauso schnell, wie er ihn umwickelte, sickerte auch das Blut hindurch und färbte den Stoff rot. Wintrow wusste nicht mehr, wie oft er die Bandage herumgewickelt hatte. Als er schließlich fertig war, wischte er sich die Hände an seiner Robe ab und löste den Knebel. Sofort färbte sich der frische Verband rot. Wintrow hätte am liebsten vor Wut und Verzweiflung aufgeschrien. Wie konnte ein einzelner Mensch so viel Blut in sich haben? Und wie konnte es sein, dass so viel aus ihm herausströmte und er immer noch lebte? Wintrows Herz hämmerte vor Furcht, als er eine weitere Stoffschicht um den Verband wickelte. Er stützte den Stumpen mit der Hand und sagte müde: »Ich bin fertig. Wir können ihn jetzt bewegen.«
    Etta hob den Kopf von Kennits Brust. Ihr Gesicht war weiß, und ihr Blick fiel auf das abgeschnittene Stück Bein. Vor Leid verzerrte sie einen Moment den Mund, und es kostete sie sichtlich Mühe, ihre Miene wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ihre Augen schimmerten immer noch feucht, als sie sich an die Männer wandte. »Holt die Trage!«, befahl sie heiser.
    Es war eine sehr umständliche Prozession. Kennit musste über die kurze Leiter auf das Hauptdeck getragen werden. Und kaum hatten sie es überquert, mussten sie die Trage durch die schmalen Flure der Offiziersquartiere

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