Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
erschütternd.
»Ich wünschte, wir hätten den Medizinkasten der Viviace «, erwiderte Wintrow ernst. »Er wurde in der Kabine des Ersten Maats aufbewahrt, bevor das alles anfing. Darin befanden sich viele nützliche Dinge, sowohl Medizin als auch Instrumente. Sie hätten Kennits Situation erheblich erleichtern können. Aber niemand scheint zu wissen, was daraus geworden ist.«
Ettas Blick verfinsterte sich, und ihre Miene wurde hart. »Niemand?«, fragte sie kalt. »Irgendjemand weiß immer irgendetwas. Man muss nur auf die richtige Art fragen.«
Sie stand unvermittelt auf. Als sie das Deck überquerte, zog sie ihr Messer aus der Scheide. Wintrow erkannte sofort ihr Ziel. Sa'Adar und seine beiden Leibwächter hatten sich zwar zurückgezogen, waren aber nicht verschwunden. Der Priester drehte sich um, als Etta sich näherte, aber viel zu spät. Sein herablassender Blick verwandelte sich schlagartig in einen Ausdruck des Entsetzens, als Etta beiläufig die scharfe Schneide ihres Messers über seine Brust zucken ließ. Er stolperte mit einem Schrei zurück und sah an sich herunter. Sein zerlumptes Hemd hing offen vor seiner behaarten Brust, auf der eine blutrote Linie immer deutlicher hervortrat. Seine beiden untersetzten Leibwächter ließen Ettas Messer nicht aus den Augen. Sie hielt es tief und war bereit zuzustoßen. Brig und ein anderer Pirat hatten sich bereits neben Etta aufgebaut. Einen Augenblick sprach und bewegte sich niemand. Wintrow konnte beinahe hören, wie Sa'Adar seine Möglichkeiten durchspielte. Die Wunde war nicht tief; zwar schmerzhaft, aber keineswegs lebensbedrohend. Sie hätte ihn auf der Stelle ausweiden können. Also. Was wollte sie?
Er entschied sich für heuchlerische Offenheit. »Warum?«, fragte er theatralisch und breitete die Arme aus, sodass man die Wunde auf seiner Brust sehen konnte. Er drehte sich halb herum, um außer Etta auch die Sklaven anzusprechen, die sich immer noch mittschiffs zusammendrängten. »Warum greift Ihr mich an? Was habe ich getan, außer dass ich meine Hilfe angeboten habe?«
»Ich will den Medizinkasten«, antwortete Etta. »Und zwar sofort!«
»Ich habe ihn nicht!«, rief Sa'Adar ärgerlich.
Die Frau bewegte sich schneller als eine Katze. Ihr Messer blitzte auf, und eine zweite blutige Linie kreuzte die erste. Sa'Adar biss die Zähne zusammen und schrie weder auf, noch trat er zurück. Wintrow sah, wie viel Mühe ihn das kostete.
»Such ihn!«, befahl Etta. »Du hast damit geprahlt, den Aufstand organisiert zu haben, der den Kapitän stürzte. Du gehst zwischen den Sklaven herum und verkündest ihnen, du wärst der echte Führer, dem sie folgen sollten. Wenn das stimmt, dann solltest du auch wissen, wer von deinen Leuten die Kabine des Maats geplündert hat. Sie haben die Kiste. Ich will sie. Sofort.«
Einen Atemzug lang schien die merkwürdige Szenerie wie eingefroren. Flackerte da ein Verstehen, ein Blick zwischen Sa'Adar und seinen Männern hin und her? Wintrow konnte es nicht genau sagen. Sa'Adar redete, aber auf Wintrow wirkten seine Worte merkwürdig gekünstelt. »Ihr hättet mich einfach fragen können, wisst Ihr? Ich bin ein demütiger Mann, ein Priester des Sa. Ich will nichts für mich, nur für das größere Gut der Menschlichkeit. Diese Kiste, die Ihr sucht… wie sieht sie aus?« Er sah Wintrow fragend an und lächelte aufgesetzt.
Wintrow zwang sich zu einem neutralen Gesichtsausdruck, als er antwortete. »Eine Holzkiste, etwa so groß.« Er deutete ihre Ausmaße mit den Händen an. »Verschlossen. Das Siegel der Viviace ist in ihrem Deckel eingebrannt. In der Kiste befanden sich Medizin, Arztinstrumente, Nadeln und Bandagen. Jeder, der sie geöffnet hat, musste sofort wissen, was er vor sich hatte.«
Sa'Adar drehte sich zu den Leuten um, die sich mittschiffs versammelt hatten. »Habt ihr gehört, meine Leute? Weiß jemand von euch von einer solchen Kiste? Wenn ja, dann bringt sie bitte her. Nicht meinetwegen, natürlich, sondern für das Wohl unseres Kapitäns. Zeigen wir ihm, dass wir gut zu denen sind, die gut zu uns sind.«
Es war so durchschaubar. Wintrow dachte schon, dass Etta ihn auf der Stelle niederstechen würde. Stattdessen überzog ein merkwürdig geduldiger Ausdruck ihre Miene. An Wintrows Knie auf dem Deck meldete sich Kennit zu Wort. »Sie weiß, dass sie warten kann«, sagte er sehr leise. »Sie lässt sich gern Zeit beim Töten und macht es am liebsten ohne Zuschauer.«
Wintrows Blick zuckte zu dem Piraten, doch der
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