Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
glaubte, dass sie ihn in diesem Punkt täuschen könnte. Das hieß, sie hielt ihn für dumm. Es wurde Zeit, sie diesbezüglich aufzuklären.
»Habt Ihr Schmerzen?«, fragte sie. Ihre Besorgnis klang echt.
»Warum fragst du?«
»Ich dachte, dass Ihr vielleicht deshalb noch wachliegt. Ich fürchte, Wintrow ist ernsthafter verletzt, als wir geglaubt haben. Es hat zwar heute Nachmittag nicht geklagt, aber sein Arm war so angeschwollen, dass er sich kaum das Hemd ausziehen konnte.«
»Und du hast ihm dabei geholfen«, meinte Kennit liebenswürdig.
»Ja. Ich habe ihm einen Umschlag gemacht. Der hat die Schwellung gelindert. Dann habe ich ihm einige Fragen zu einem Buch gestellt, das ich gerade zu lesen versuche. Ich finde dieses Buch recht närrisch, denn es geht die ganze Zeit nur darum, was im Leben real und was das Ergebnis von dem ist, wie wir das Leben betrachten. Er nennt es Philosophie. Ich habe ihm gesagt, dass es eigentlich Zeitverschwendung heißen müsste. Was ist gut daran, wenn man darüber nachdenkt, woher man weiß, dass ein Tisch ein Tisch ist? Er meinte, wir würden dadurch auch darüber nachdenken, wie wir denken. Ich halte das immer noch für albern, aber er hat darauf bestanden, dass ich es lesen sollte. Ich habe nicht gemerkt, wie lange wir uns gestritten haben, bis ich seine Kabine verlassen habe.«
»Gestritten?«
»Nicht im Zorn. Wir haben diskutiert.« Sie hob das Laken und schlüpfte zu ihm ins Bett. »Ich habe mich gewaschen«, sagte sie schnell, als er vor ihrer Berührung zurückzuckte.
»In Wintrows Kabine?« Es war eine boshafte Frage.
»Nein, in der Kombüse, wo das Wasser einfacher zu wärmen ist.« Sie schmiegte sich an ihn und seufzte. »Kennit, warum fragt Ihr mich das?« Ihre Worte klangen beinahe scharf. »Misstraut Ihr mir? Ich bin Euch treu!«
»Treu!« Das Wort erschreckte ihn.
Sie setzte sich im Bett auf und zog ihm dabei die Decke vom Körper. »Natürlich bin ich Euch treu! Immer. Was glaubt Ihr denn?«
Das stellte ein erhebliches Hindernis für seine Pläne mit ihr dar. Er zog an der Decke, und Etta ließ sich wieder neben ihn sinken. Kennit formulierte seine nächsten Worte sehr sorgfältig. »Ich hatte geglaubt, du würdest eine Weile bei mir bleiben. Bis dich ein anderer Mann anziehen würde.« Er zuckte mit den Schultern, aber er war beunruhigter, als er zugeben wollte. Warum fiel es ihm so schwer, das zuzugeben? Sie war eine Hure. Huren waren nicht treu.
»Bis ich einen anderen Mann anziehend finde? Ihr meint, jemand wie Wintrow?« Sie lachte kehlig. »Wintrow?«
»Er steht dir altersmäßig viel näher als ich. Sein Körper ist süß und jung, er hat keine Narben, und außerdem verfügt er noch über beide Beine, wenn ich das anmerken darf. Warum solltest du ihn nicht begehrenswerter finden?«
»Ihr seid ja eifersüchtig!« Sie klang, als habe er ihr einen Diamanten geschenkt. »Ach, Kennit, Ihr seid albern! Wintrow! Ich bin nur nett zu ihm gewesen, weil Ihr es von mir verlangt habt. Mittlerweile jedoch habe ich seinen Wert ebenfalls erkannt. Ich verstehe, was Ihr mir an ihm deutlich machen wolltet. Er hat mich viel gelehrt, und dafür bin ich dankbar. Aber warum sollte ich einen Mann gegen einen unerfahrenen Jungen eintauschen?«
»Er ist noch unversehrt«, erwiderte Kennit. »Heute hat er wie ein Mann gekämpft. Und er hat sogar getötet.«
»Er hat heute gekämpft, das stimmt. Aber das macht ihn noch nicht zu einem erwachsenen Mann. Er hat zum ersten Mal gekämpft, mit den Waffen und den Fertigkeiten, die ich ihn gelehrt habe. Er hat getötet, und das hat ihn heute Nacht gequält. Wintrow hat lange darüber geredet, beklagt, wie falsch es ist, einem Menschen zu nehmen, was Sa allein ihm gegeben hat.« Sie senkte die Stimme. »Er hat deswegen sogar geweint.«
Kennit konnte ihr kaum folgen. »Und deswegen achtest du ihn weniger als Mann?«
»Nein. Ich habe ihn deswegen bemitleidet, selbst als ich es ihm ausreden wollte. Er ist ein Junge, der zwischen seiner natürlichen Freundlichkeit und dem Bedürfnis, Euch zu folgen, hin und her gerissen ist. Das weiß er selbst. Er hat davon heute Nacht gesprochen. Als wir uns vor langer Zeit begegnet sind, habe ich viele Dinge zu ihm gesagt. Dinge, die einem der gesunde Menschenverstand nahelegt, zum Beispiel, dass man das leben muss, was ist, statt sich nach dem zu verzehren, was sein könnte. Er hat sich diese Dinge so sehr zu Herzen genommen, Kennit.« Sie senkte die Stimme. »Er glaubt jetzt, dass Sa ihn zu
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