Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
wie gern er ihr die Stadt zeigen wollte.« Keffria hob ihre geschiente Hand an die Stirn. »Aber nach diesem Verhalten frage ich mich, ob es wirklich klug ist, sie allein hier zurückzulassen. Ich dachte, Malta würde allmählich erwachsen, aber wenn sie einfach so wegläuft, ohne ein Wort zu hinterlassen.«
Jani blieb auf dem schmalen Weg stehen und ergriff Keffrias Arm. Mit ihren unverschl eierten Augen sah sie sie offen an. »Ich verspreche Euch, dass ich für sie wie für meine eigenen Kinder sorge. Es ist unnötig, Selden irgendwo anders unterzubringen als bei uns. Es wird Reyn gut tun, sich um den Jungen zu kümmern, bevor er eigene Söhne bekommt.« Jani lächelte, und die Hoffnung, die sie erfasste, vertrieb viel von der Fremdheit ihrer Regenwildniszüge. Dann wurde der hoffende Ausdruck zu einem fast flehentlichen. »Was Ihr uns gestern angeboten habt, ist unglaublich mutig. Ich komme mir egoistisch vor, dass ich Euch bedränge, Euer Angebot zu halten. Aber Ihr seid der einzige Mensch, der sich vollkommen als Spion eignet.«
»Spion.« Das Wort hörte sich merkwürdig an. »Ich nehme an.« Keffrias Worte wurden vom Läuten einer großen Glocke unterbrochen. »Was ist das denn?«, wollte sie wissen. Jani sah bestürzt auf die uralte Stadt hinunter.
»Das Läuten bedeutet, dass es einen Einbruch gegeben hat und möglicherweise Menschen eingeschlossen sind. Nur dann wird diese Glocke geläutet. Alle, die arbeiten können, müssen ihrem Ruf folgen. Ich muss gehen, Keffria.« Ohne ein weiteres Wort drehte sich die Regenwildfrau um und rannte davon. Keffria starrte ihr hinterher. Nur zögernd richtete sie den Blick wieder auf die Stadt. Menschen riefen sich gegenseitig die Neuigkeit zu. Männer zogen sich Hemden und Jacken über, während sie über die schmalen Stege hasteten. Ihnen folgten Frauen, die Werkzeuge und Wasserkrüge schleppten. Keffria war davon überzeugt, dass sie Malta und Selden dort unten finden würde. Sie würden zusammen sein und sich gegenseitig helfen, wo sie konnten. Vielleicht bot sich hier auch die Möglichkeit, den beiden mitzuteilen, dass sie nach Bingtown zurückkehren wollte, sobald der Kendry in See stach.
Malta wusste nicht mehr, wie viele Sackgassen sie schon entdeckt hatte. Es machte sie verrückt, mit anzusehen, wie die Phantome der Bewohner der toten Stadt in den eingestürzten Tunneln verschwanden. Die Erscheinungen lösten sich einfach in den Erd- und Steinhaufen auf. Jedes Mal wenn sie auf die nächste Barriere aus feuchter Erde stieß, wurden der Satrap und seine Gefährtin bekümmerter.
»Du hast gesagt, du wüsstest den Weg!«, beschwerte er sich.
»Ich kenne den Weg auch. Ich kenne alle Wege. Wir müssen nur einfach einen finden, der nicht blockiert ist.«
Malta hatte gemerkt, dass er in ihr nicht das Mädchen erkannte, mit dem er auf dem Ball getanzt hatte und mit dem er zusammen in einer Kutsche gefahren war. Er behandelte sie eher wie eine ziemlich dumme Dienstbotin. Das konnte sie ihm nicht verübeln. Es fiel ihr ebenfalls schwer, an der alten Malta festzuhalten. Ihre Erinnerungen an den Ball und den Unfall wurden mit jedem Moment schwächer, während die Erinnerungen der Stadt um sie herum an Kraft gewannen. Ihr Leben als Malta kam ihr vor wie das Märchen eines frivolen und verdorbenen Mädchens.
Selbst jetzt waren ihr Flucht und Überleben nicht so wichtig wie der Drang, ihren Bruder zu finden und mit Stangen zurückzukehren, um das Drachenweibchen zu befreien. Sie musste einfach einen Weg hier herausfinden. Dass sie den beiden hier half, geschah eher aus Zufall.
Sie ging an dem Theater vorbei, blieb dann unvermittelt stehen, machte einige Schritte zurück und betrat den gewaltigen Saal. Die Tür bestand nur noch aus einem schwarzen Loch in der Wand. Malta hielt die #blakende Laterne hoch, weil sie sehen wollte, in welchem Zustand sich der Raum befand. Dieser einst so wunderschöne Saal war zum Teil eingestürzt. Man hatte sich zwar bemüht, die Erde zu entfernen, aber große Steinblöcke, die ursprünglich die Decke gestützt haben mussten, hatten sich den Grabenden widersetzt. Sie sah sich hoffnungsvoll um. Möglicherweise war das eine Chance. »Hier entlang«, sagte sie zu den beiden anderen.
»Ach, das ist doch verrückt«, jammerte Kekki. »Hier ist doch schon fast alles eingestürzt. Wir müssen einen Ausgang finden und dürfen nicht immer tiefer in die Ruine hineingehen.«
Eine Erklärung war einfacher, als einen Streit vom Zaun zu brechen.
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