Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
»Jedes Theater hat einen Zugang, durch den die Schauspieler kommen und gehen. Die Altvorderen wollten, dass sie ungesehen blieben, um die Illusion des Spiels besser bewahren zu können. Hinter der Bühne, die ja noch intakt ist, liegen kleine Zimmer und Ausgänge. Ich bin hier sehr oft entlanggegangen. Kommt. Vertraut mir und folgt mir, dann werdet Ihr vielleicht gerettet.«
Kekki war beleidigt. »Tu nicht so vornehm, kleine Magd. Du vergisst dich wohl.«
Malta schwieg einen Moment. »Mehr, als Ihr ahnt«, stimmte sie mit einer fremdartigen Stimme zu. Wessen Worte waren das gewesen, wessen Akzent? Sie wusste es nicht und hatte auch nicht die Zeit, einer einzelnen Erinnerung nachzugehen. Sie führte die beiden über die Bühne und kletterte mit ihnen dahinter hinab. Müll blockierte die versteckte Tür, aber das Meiste davon war Holz, nicht Erde oder Steine. Hier war eine sehr, sehr lange Zeit niemand mehr entlanggegangen. Vielleicht hatten die Regenwildleute selbst diese Tür noch gar nicht entdeckt. Sie stellte die Laterne ab und machte sich daran, den Müll wegzuräumen. Der Satrap und seine Gefährtin sahen zu. Sie versuchte den Riegel zu öffnen, indem sie das Zeichen der Schauspielergilde auf dem Lichtpaneel betätigte. Als das nicht funktionierte, trat sie einfach dagegen. Langsam öffnete sich die Tür in die Finsternis dahinter. Der Türsturz knarrte zwar bedrohlich, hielt aber.
Malta hoffte, dass die Korridore nicht eingestürzt waren. Sie legte die Hand auf den Lichtstreifen in der Wand, und im Flur flammte plötzlich ein helles Licht auf. Er war unversehrt und führte in einer geraden Linie von ihnen weg, in die Freiheit. »Hier entlang«, erklärte Malta. Kekki hielt die Laterne hoch, aber Malta vertraute jetzt dem Lichtstreifen. Sie strich sanft mit den Fingern darüber, während sie durch den Korridor ging. In ihr hallten die Erwartungen anderer wider. Diese Tür hier führte zu der Garderobe, andere zu den Kammern, in denen die Tänzer sich umzogen und Lockerungsübungen machten. Es war ein großes Theater gewesen, das schönste in allen Städten der Altvorderen. Die Hintertür öffnete sich auf eine wundervolle Veranda und ein Bootshaus, von dem aus man den ganzen Fluss überblicken konnte. Einige Schauspieler und Sänger hatten ihre kleinen Boote hier vertäut, mit denen sie bei Mondlicht Ausflüge auf dem Fluss machten.
Malta schüttelte den Kopf und riss sich so aus den Träumen heraus. Eine Tür nach draußen brauchen wir, sagte sie sich. Mehr nicht. Eine Tür, die sie aus der begrabenen Stadt hinausbrachte.
Der Flur schien endlos, führte an Übungsräumen und den kleinen Läden vorbei, die die Künstler versorgt hatten. Hier war ein Kostümgeschäft, und durch diese Tür kam man in eine schöne Drogenhöhle. Hier gab es den Perückenmacher und dort ein Geschäft für Künstlerschminke. Aus und vorbei, alles begraben und tot. Hier hatte das Herz der Stadt geschlagen, denn welche Kunst ist größer als die, die das Leben selbst imitiert? Malta eilte daran vorbei, aber in ihrem Herzen betrauerten die Erinnerungen Hunderter Künstler ihr eigenes Dahinscheiden.
Als sie das Tageslicht sah, war es so blass und grau, dass es zunächst wie eine Täuschung wirkte. Der letzte Teil des Flurs war zerstört. Der Lichtstreifen war weg, und ihre Laterne funktionierte nicht mehr. Sie mussten sich beeilen. Gips und Fresken waren von den Steinen der Wände gefallen. Sie wölbten sich nach innen, und glänzendes Wasser rann an ihnen hinunter. Die Flecken an der Wand sagten Malta, dass dieser Korridor überflutet worden war, und zwar mehr als nur einmal. Wenn der Fluss durch die Regenfälle anschwoll, füllte er wahrscheinlich diese Tunnel. Es war pures Glück, dass er frei war. Und selbst jetzt mussten sie noch durch Schlamm waten. Malta achtete schon längst nicht mehr auf ihre Kleidung, aber der Satrap und seine Gefährtin beschwerten sich vernehmlich, während sie sich hinter ihr entlangtasteten.
Die Veranda und das Bootshaus, die einst am Ende dieses Flures gelegen hatten, bestanden nur noch aus zerfallenen Ruinen. Es gab keinen deutlichen Weg. Malta ignorierte die Proteste der beiden anderen und tastete sich weiter vor, dem grauen Tageslicht entgegen. Der Regen hatte Schmutz und Blätter in die Reste dieses Flures gespült. Und durch einen früheren Erdstoß waren Erde und Korridor gespalten worden. »Wir sind draußen!«, rief Malta, wand sich durch den schlammigen Spalt und stolperte plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher