Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
sind. Die Altvorderen waren offenbar ein hochgebildetes Volk. Es müsste eine ungeheure Menge Bücher und Schriftrollen geben. Aber wo sind sie? Du interessierst dich kein bisschen für die Lösung des größeren Rätsels, das vielleicht der Schlüssel zu der ganzen Stadt sein könnte. Für dich repräsentieren diese Dokumente nur eins: Können wir aus dem, was darin steht, Kapital schlagen? Wenn nicht, wirf sie weg und grab irgendwas anderes aus.« Als wollte er Bendirs Haltung verspotten, warf er die Pergamente achtlos auf den Tisch zwischen sie. Jani zuckte zusammen, als sie dort landeten. Bei einer solchen Behandlung würde es nicht lange dauern, bis sie zu Staub zerfielen.
»Bitte!«, befahl sie scharf. »Setzt euch. Alle beide. Wir haben noch eine Menge zu besprechen.«
Zögernd trat Reyn an den Tisch. Jani setzte sich an ein Kopfende und nahm so absichtlich die Position ein, die Autorität ausstrahlte. Bendir war in letzter Zeit ein bisschen zu barsch mit seinem jüngeren Bruder umgegangen. Es wurde Zeit, ihren ältesten Sohn ein wenig zurückzupfeifen. Aber gleichzeitig wollte sie Reyns mürrische Melancholie nicht auch noch unterstützen. Seit einiger Zeit schien er sich gar nicht mehr aus dieser Stimmung befreien zu können. Sie jedenfalls hatte allmählich mehr als genug davon. Sie stürzte sich ohne Vorwarnung auf ihre beiden Söhne.
»Du hast keinen Grund, auf die Werbung deines Bruders eifersüchtig zu sein!« Sie deutete mit dem Finger auf Bendir. »Als du dich in Rorela verliebt hast, hat die ganze Familie dein merkwürdiges Verhalten toleriert. Du hast jeden freien Moment vor ihrer Türschwelle gekauert. Ich erinnere mich noch daran, wie du von uns verlangt hast, einen ganzen Flügel der Hahnenhalle für sie zu renovieren. Wir mussten ihn in allen möglichen Grünschattierungen streichen, weil es angeblich ihre Lieblingsfarbe war. Und du wolltest auch nicht, dass ich mich mit ihr berate, ob das wirklich ihrem Wunsch entsprach. Nun, ich hoffe, du erinnerst dich noch, wie sie auf deine >Überraschung< reagiert hat.«
Bendir warf ihr einen finsteren Blick zu, und Reyn grinste. Diesen Ausdruck hatte sie schon lange nicht mehr auf seinem Gesicht wahrgenommen. Sie hätte ihn gern ein bisschen länger gesehen, aber man musste das Eisen schmieden, solange es heiß war.
»Und du hörst auf, dich wie ein liebeskranker Jüngling zu benehmen, Reyn! Du bist ein Mann. Hättest du dich mit vierzehn verliebt, wäre dieses Verhalten zu erwarten, aber du bist zwanzig. Du solltest etwas mehr Zurückhaltung darin üben, wie du dein Herz offenbarst. Dein Wunsch, ohne jede Vorankündigung nach Bingtown zu reisen, von einem Moment auf den anderen, war einfach unvernünftig. Und dieses Schmollen steht dir nicht zu. Du wirst bald stromabwärts fahren und deine Dame zum Sommerball führen. Was kannst du mehr verlangen?«
Ärger glomm in den Augen ihrer Söhne auf. Gut. Wenn sie es schaffte, dass sie beide wütend auf sie waren, würden sie sich gegenseitig bemitleiden. Das funktionierte schon, seit sie kleine Jungen waren.
»Was ich noch mehr von euch verlangen könnte? Vielleicht etwas mehr Verständnis für das, was sie ertragen muss! Ich wollte zu ihr gehen und ihr und ihrer Familie in dieser schwierigen Situation so viel Unterstützung gewähren, wie ich nur konnte. Doch was wurde mir stattdessen erlaubt? Nichts. Du hast eine mitfühlende Nachricht geschickt und mir gesagt, dass ein direkter Brief von mir an Malta überstürzt wäre. Mutter, ich habe vor, sie zu heiraten! Wie kann es dann überstürzt sein, meine Familie zu bitten, der ihren zu helfen?«
»Über das Vermögen der Familie hast nicht du zu befinden, Reyn. Das musst du verstehen. In deiner Leidenschaft würdest du uns alle mitreißen und viel zu sehr verpflichten. Ich weiß, dass es um ihren Vater und ihr Lebensschiff geht. Mir blutet deswegen das Herz. Und außerdem steht auch eine beträchtliche Investition unsererseits auf dem Spiel, eine, die vielleicht bereits unwiederbringlich verloren ist. Reyn, wir können nicht einfach gutes Geld hinter schon verlorenem herwerfen. Das wäre ein Fass ohne Boden! Nein! Lauf nicht einfach weg, sondern hör mir zu! Was du grausam findest, ist einfach nur gesunder Menschenverstand. Sollte ich dir und Malta erlauben, euch in einer Angelegenheit zu verschulden, die möglicherweise eine verlorene Sache ist? Wir alle kennen die Geschichten über diesen Kennit. Und abgesehen davon, dass Kyle Haven Maltas Vater ist,
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