Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
Chalcedeanische Kriegsgaleeren! Mein Junge hat sie im Morgengrauen gesehen und mich geweckt. Ich habe ihn zum Nordwall geschickt, um die anderen Lebensschiffe zu alarmieren. Ich weiß nicht, wie viele Galeeren da draußen sind, aber es sind mehr als zehn. Sie meinen es ernst.«
»Seid Ihr sicher?«
»Wie viele?«
»Wie viele Zauberschiffe sind ausgelaufen? Können sie sie denn aufhalten?«
Die Fragen prasselten auf ihn herab. Er schüttelte frustriert die Fäuste. »Ich weiß es nicht. Ich habe euch alles gesagt, was ich weiß. Eine Flotte chalcedeanischer Kriegsschiffe beabsichtigt offenbar, in den Hafen von Bingtown einzulaufen. Wenn ihr ein Schiff habt, bemannt es und schickt es hinaus. Wir müssen sie aufhalten. Alle anderen sollen Waffen und Eimer holen und zum Hafen kommen. Die Chalcedeaner benutzen Feuer. Wenn es ihnen gelingt, ihre Schiffe zu verlassen, werden sie versuchen, die Stadt niederzubrennen.«
»Was ist mit unseren Kindern?«, schrie eine Frau aus der Menge.
»Wenn sie alt genug sind, einen Eimer zu tragen, dann nehmt sie mit. Die Kleinsten bleiben mit den Alten und Verkrüppelten hier. Sie müssen gegenseitig aufeinander Acht geben. Und jetzt kommt.«
Der kleine Selden stand neben ihr in der Menge. Ronica sah ihn an. Tränen liefen ihm über die Wangen, und seine Augen waren weit aufgerissen. »Geh in die Halle, Selden«, befahl ihm Keffria mit gespielter Unbeschwertheit. »Wir kommen bald zurück.«
»Das will ich aber nicht!«, erwiderte er trotzig. »Ich bin groß genug, dass ich einen Eimer tragen kann.« Er erstickte ein verängstigtes Schluchzen und verschränkte die Arme trotzig vor der Brust.
»Malta bleibt bei dir«, schlug Keffria verzweifelt vor. »Sie kann helfen, sich um die Babys und die Alten zu kümmern.«
»Ich trage lieber auch einen Eimer«, erklärte Malta gereizt und nahm Selden an die Hand. Für einen Augenblick wies sie eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit Althea auf. »Wir werden uns nicht hier verstecken und uns mit der Ungewissheit quälen, was da in der Stadt passiert. Komm, Selden, gehen wir.«
Oben auf den Stufen zur Halle schrie Händler Larfa immer noch Befehle. »Ihr da, Porfro! Benachrichtigt die Drei-Schiffe- Immigranten! Und jemand muss den Rat der Neuen Händler unterrichten.«
»Als wenn denen das wichtig wäre! Sollen sie doch auf sich selbst aufpassen!«, erwiderte jemand wütend.
»Es ist ihre Schuld, dass wir überhaupt Chalcedeaner im Hafen haben!«, fügte jemand anders hinzu.
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Wir müssen die Stadt verteidigen!«, widersprach Larfa. »Jetzt zählt nur Bingtown, und nicht, wann wir es besiedelt haben!«
»Bingtown!«, schrie ein Dritter. Andere nahmen den Ruf auf. »Bingtown! Nach Bingtown!«
Die Wagen und Kutschen ratterten bereits über den Hof in Richtung Innenstadt. Ronica hörte, wie jemand einige Reiter instruierte, die entlegeneren Farmen und Siedlungen zu alarmieren. Es blieb keine Zeit mehr, nach Hause zu gehen und sich umzuziehen, keine Zeit, über das verpasste Frühstück und geeignetere Schuhe nachzudenken. Sie sah, wie eine Frau und ihre erwachsene Tochter die voluminösen Röcke von ihren Gewändern abtrennten, den hinderlichen Stoff einfach fallen ließen und den Männern ihrer Familie in ihren langen Baumwollunterhosen folgten.
Ronica packte Keffria an die Hand und hoffte, dass die Kinder folgten. »Habt Ihr noch Platz für uns?«, rief sie einer Kutsche zu, die vorbeifuhr. Der Fahrer hielt ohne Kommentar an. Sie zwängten sich ins Innere, ungeachtet der Enge. Hinter ihnen sprangen noch drei junge Männer hinein. Einer trug ein von Rost angefressenes Schwert an seiner Stelle. Sie grinsten wie Verrückte. Ihre Augen glänzten, und sie bewegten sich schnell und kraftvoll wie junge Bullen, die sich gegenseitig herausfordern wollten. Sie lächelten Malta an, die sie kurz ansah und dann den Blick abwandte. Der Wagen fuhr ruckartig an, und Ronica hielt sich an der Seite fest. Sie fuhren nach Bingtown.
An einer Stelle der Straße standen die Bäume etwas lichter, und Ronica konnte einen kurzen Blick auf den Hafen werfen. Die Lebensschiffe waren am Hafeneingang zusammengezogen worden. Männer drängten sich auf den Decks und deuteten nach vorn. Weit draußen auf dem Meer konnte man den hohen Mast eines Schiffes sehen. Die Galeeren der Chalcedeaner mit ihren vielen Rudern wirkten daneben wie scheußliche, hektische Käfer.
»Sie führen die jamaillianische Flagge!«, rief einer der jungen
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