Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
flüsterte auch nur. Das schreckliche, ins Schicksal ergebene Schweigen schien das Schiff niederzudrücken. Selbst die Galionsfigur wusste nichts zu sagen. Die Marietta hinter ihnen schien unter einem ähnlichen Leichentuch der Stille zu segeln.
Kennits Blick glitt zu Wintrow, der auf dem Vordeck der Viviace stand. Er konnte beinahe die Betäubung spüren, unter der sie alle litten. Etta stand neben ihm, umklammerte die Reling und beugte sich vor, als wäre sie ebenfalls eine Galionsfigur. Ihr Gesicht war zu einer starren Grimasse des Unglaubens verzerrt.
Die Zerstörungen waren nicht überall gleich stark. Von einem Lagerhaus standen noch drei Wände, wie Hände, die die Vernichtung zu beschützen suchten, die im Inneren herrschte. Eine einzelne Wand von Bettels Bordell ragte ebenfalls noch empor. Hier und dort hatten einige Hütten anscheinend nicht richtig Feuer gefangen. Der feuchte Boden, auf dem die Stadt errichtet worden war, hatte diese Gebäude offensichtlich gerettet.
»Es hat keinen Sinn, hier vor Anker zu gehen«, sagte Kennit zu Brig. Der junge Erste Maat der Viviace war wortlos an seine Seite getreten. »Wende und lass uns einen anderen Hafen anlaufen!«
»Wartet, Sir! Seht nur! Da ist jemand. Seht, da drüben!« Gankis wagte sich kühn hervor. Der dürre alte Mann war in die Takelage geklettert, um einen besseren Blick auf die zerstörte Stadt zu bekommen.
»Ich kann nichts erkennen«, erwiderte Kennit. Doch einen Moment später sah er es auch. Sie kamen in kleinen Gruppen zu zweit oder vereinzelt aus dem Dschungel. Die Tür einer Hütte wurde aufgerissen, und ein Mann tauchte in der Öffnung auf. Er hielt ein Schwert in der Hand. Um den Kopf trug er einen schmutzig braunen Verband.
Sie legten an den skelettartigen Duckdalben an, den traurigen Überresten der einstigen Hauptpier. Kennit saß im Bug der Gig, als sie an Land ruderten. Sorcor hielt sich im Beiboot der Marietta dicht neben ihm. Etta und der Junge hatten beide darauf bestanden, ihn zu begleiten. Widerwillig hatte Kennit auch dem größten Teil der Mannschaft erlaubt, nach ihm kurz an Land zu gehen, und befohlen, dass nur eine Rumpfmannschaft an Bord der Schiffe zurückbleiben sollte. Jeder Mann an Bord schien unbedingt an Land gehen zu wollen, um sich aus erster Hand über die Zerstörungen zu informieren. Kennit wäre auch damit zufrieden gewesen weiterzusegeln. Die niedergebrannte Stadt beunruhigte ihn. Und man konnte nicht vorhersagen, was die Überlebenden tun würden.
Diese Überlebenden von Divvytown hatten sich zusammengerottet, noch bevor die erste Gig den Strand berührte. Sie standen wie zerlumpte Geister schweigend da und warteten darauf, dass die Piraten an Land kamen. Ihr Schweigen wirkte auf Kennit bedrohlich, genauso wie ihre Blicke, die jeder seiner Bewegungen zu folgen schienen. Das Boot rutschte abrupt auf das schlammige Ufer. Er blieb ruhig sitzen und umklammerte seine Krücke, während seine Männer heraussprangen und das Boot weiter an Land zogen. Ihm gefiel die ganze Angelegenheit überhaupt nicht. Der Schlamm am Ufer glänzte schwarz und war von einer hauchdünnen, öligen Algenschicht überzogen. Seine Krücke und sein Holzbein würden tief im Schlamm versinken, wenn er das Beiboot verließ. Er würde verdammt unbeholfen wirken. Schlimmer noch, er würde verwundbar wirken, wenn die Meute beschloss, ihn anzugreifen. Er blieb sitzen, betrachtete die Menschentraube und wartete, ob er ein eindeutiges Zeichen ihrer Stimmung ausmachen konnte.
Dann hörte er Sorcors Ruf vom Beiboot der Marietta . »Alyssum! Du lebst!« Der stämmige Pirat sprang im Nu über die Seite des Bootes und watete durch das Wasser und den Schlamm auf die wartende Menschenmenge zu. Sie teilte sich vor ihm. Er zog ein junges Mädchen in seine Arme und drückte sie an seine gewaltige Brust. Kennit brauchte einen Moment, bis er sie erkannte. Diese Mitleid erregende Kreatur hatte erheblich attraktiver ausgesehen, als Sincure Faldin sie und ihre Schwester Lily als mögliche Bräute für Kennit und Sorcor präsentiert hatte. Er erinnerte sich, dass Sorcor von den Mädchen fasziniert gewesen war, aber er hätte niemals erwartet, dass der Pirat sein Werben fortgesetzt hätte. Sorcor stand da und hielt Alyssum Faldin in seinen Armen wie ein Bär, der ein Kalb gefangen hat. Sie hatte ihre blassen Ärmchen um den mächtigen Nacken des Piraten geschlungen und hielt sich aus Leibeskräften an ihm fest. Tränen rannen ihr über die Wangen, aber Kennit
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