Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
er einfach dadurch, das er lauter schrie als sein Widersacher. Stattdessen jedoch fühlte er nur den schrecklichen Schmerz in Brashens Herz.
»Das stimmt«, gab Brashen kläglich zu. »Ich weiß nicht einmal, warum sie so wütend ist, und sie redet kaum mit mir.«
»Sie redet sehr wohl mit dir«, erwiderte Paragon gereizt.
»Oh, sicher, sie redet«, lenkte Brashen ein. »›Ja, Sir. Nein, Sir.‹ Und ihre schwarzen Augen: Sie sind so matt und kalt wie nasse Kiesel. Ich scheine Althea überhaupt nicht erreichen zu können.« Die Worte sprudelten dem Mann förmlich über die Lippen. Es waren Worte, die Brashen lieber für sich behalten hätte, wenn er es nur gekonnt hätte, das spürte Paragon. »Dabei brauche ich sie. Ich brauche wenigstens einen Menschen in dieser Mannschaft, der mir kein Messer in den Rücken rammt.
Aber sie steht einfach nur da und starrt an mir vorbei oder durch mich hindurch, und ich habe das Gefühl, dass ich noch weniger wert bin als gar nichts. Niemand sonst schafft es, dass ich mich so mies fühle. Ich würde sie am liebsten…« Er verstummte.
»Wirf sie auf den Rücken und nimm sie. Dann bist du wenigstens real für sie«, erklärte Paragon. Jetzt musste Brashen doch aufbegehren!
Brashens schweigender Widerwille war jedoch alles, was die Worte des Schiffes auslösten. Kein Wutanfall oder Ekel. Nach einem Augenblick fragte der Mann ruhig: »Wo hast du gelernt, so zu reden? Ich kenne die Ludlucks. Sie sind harte Leute, knausrige und rücksichtslose Händler. Aber sie sind anständig.
Die Ludlucks, die ich kenne, haben weder vergewaltigt noch gemordet. Woher hast du das also?«
»Vielleicht waren die Ludlucks, die ich kannte, ja nicht so anspruchsvoll. Ich habe eine Menge Vergewaltigungen und Morde miterlebt, Brashen. Auf eben dem Deck, auf dem du gerade stehst.« Und vielleicht bin ich auch mehr als nur ein Ding, das von den Ludlucks geformt worden ist, dachte er. Vielleicht hatte ich schon eine Form und eine Existenz, lange bevor überhaupt ein Ludluck seine Hand auf mein Ruder gelegt hat.
Brashen schwieg, und der Sturm gewann an Kraft. Eine feuchte Windbö peitschte gegen Paragons Segel und ließ ihn leicht krängen. Er und der Rudergänger reagierten jedoch, bevor er sich zu weit neigte. Er fühlte, wie Brashen die Reling unwillkürlich fester umklammerte.
»Fürchtest du mich?«, fragte ihn das Schiff.
»Das muss ich doch«, erwiderte Brashen. »Es gab eine Zeit, als wir Freunde waren. Ich dachte, ich würde dich gut kennen.
Ich wusste, was die Leute über dich sagten, aber ich dachte, man hätte dich vielleicht dazu getrieben. Als du diesen Mann getötet hast, Paragon, als ich sah, wie du das Leben aus ihm geschüttelt hast, hat sich etwas in meinem tiefsten Inneren verändert. Ja. Ich fürchte dich.« Ruhiger fuhr er fort: »Und das tut keinem von uns beiden gut.«
Er ließ die Reling los und ging davon. Paragon leckte sich die Lippen. Das frische Regenwasser lief ihm über das zerstörte Gesicht. Brashen war sicher nass bis auf die Haut. Paragon versuchte, Worte zu finden, die den Kapitän zurückholen konnten. Er wollte plötzlich nicht allein sein, blind in diesen Sturm hineinsegeln und nur auf einen Rudergänger vertrauen, der ihn für ein »verdammtes Schiff« hielt. »Brashen!«, rief er laut.
Der Kapitän blieb unsicher stehen. Dann ging er langsam über das schwankende Deck zurück und trat erneut an die Reling. »Paragon?«
»Ich kann dir nicht versprechen, nicht mehr zu töten. Das weißt du.« Er suchte verzweifelt nach einer Rechtfertigung.
»Vielleicht kommen wir sogar in eine Situation, in der du willst, dass ich töte. Und dann bin ich hilflos, gebunden an mein Versprechen…«
»Ich weiß. Ich habe versucht herauszufinden, um was ich dich bitten könnte. Nicht zu töten. Immer meinen Befehlen zu gehorchen. Aber ich kenne dich und weiß, dass du solche Dinge niemals versprechen kannst.« Nachdrücklich fuhr Brashen fort:
»Ich bitte dich nicht darum, dass du mir diese Dinge versprichst. Ich will nicht, dass du mich anlügst.«
Plötzlich empfand Paragon Mitleid für den Mann. Er hasste es, wenn seine Gefühle so hin und her schwankten. Aber er konnte sie nicht kontrollieren. Impulsiv sagte er: »Ich verspreche dir, dich nicht zu töten, Brashen. Hilft dir das?«
Er spürte, wie Brashen bei seinen Worten erschrak. Paragon begriff plötzlich, dass der Kapitän keinen Gedanken daran verschwendet hatte, dass dieses Schiff ihn töten könnte. Dass Paragon
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