Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
und beschloss dann, etwas zu riskieren, um zu sehen, wie sie reagierte. »Ich glaube, wir sollten diese Zeit nutzen, um uns auf den Moment vorzubereiten, wenn Wintrow uns verlässt. Da wir ihn beide lieben, wissen wir auch, dass sein Herz nicht hier bei uns ist, sondern an seinem Kloster hängt. Die Zeit wird kommen, da wir ihn gehen lassen müssen, wenn wir ihn wirklich lieben. Findest du das nicht auch?«
    Viviace drehte sich um und starrte aufs Meer hinaus. »Vermutlich.«
    »Meine entzückende Wasserblume, warum erlaubst du mir nicht, seinen Platz bei dir einzunehmen?«
    »Blut ist Erinnerung«, erwiderte Viviace traurig. »Wintrow und ich teilen sowohl Blut als auch Erinnerungen.«
    Es war schmerzhaft, denn ihm taten alle Knochen weh, aber trotzdem beugte sich Kennit langsam auf ihr Deck hinunter. Er legte die Hand auf den Blutfleck, der den Umriss seiner Hüfte und seines Beines nachzeichnete. »Mein Blut«, sagte er ruhig.
    »Ich habe hier gelegen, während mir mein Bein amputiert wurde. Mein Blut ist in dich hineingelaufen. Ich weiß, dass du damals deine Erinnerungen mit mir geteilt hast.«
    »Das habe ich getan. Und das tue ich auch, wenn du stirbst.
    Aber…« Nach einer kurzen Pause fuhr sie klagend fort:
    »Selbst bewusstlos hast du dich vor mir versteckt. Du hast mit mir geteilt, was du mit mir teilen wolltest, Kennit. Der Rest blieb ein Geheimnis, von Schatten verhüllt. Du hast verleugnet, dass solche Erinnerungen überhaupt existieren.« Sie schüttelte den großen Kopf. »Ich liebe dich, Kennit, aber ich kenne dich nicht. Nicht so, wie Wintrow und ich uns kennen. In mir ruhen die Erinnerungen von drei Generationen seines Familiengeschlechts. Sein Blut hat mich ebenfalls durchtränkt. Wir sind wie zwei Bäume, die aus derselben Wurzel entsprungen sind.«
    Sie rang plötzlich nach Luft. »Ich kenne dich nicht«, wiederholte sie. »Wenn ich dich wirklich kennen würde, würde ich verstehen, was passiert ist, als du von Anderland zurückgekommen bist. Die Winde und das Meer selbst schienen deinem Befehl zu gehorchen. Eine Seeschlange hat sich deinem Willen gefügt. Ich weiß nicht, wie so etwas geschehen kann, obwohl ich es miterlebt habe. Und du scheinst auch nicht in der Lage zu sein, es mir zu erklären.« Sehr leise fuhr sie fort: »Wie soll ich einem Mann vertrauen können, der mir nicht vertraut?«
    Eine Weile hörte man nur den Wind. »Verstehe«, sagte Kennit schließlich. Er richtete sich mit Hilfe seiner Krücke mühsam wieder auf. Sie hatte ihn verletzt, und er ließ es sich anmerken. »Ich kann dir nur sagen, dass es noch nicht an der Zeit ist, dass ich mich dir anvertraue. Ich hatte gehofft, dass du mich genug liebst, um Geduld zu haben. Diese Hoffnung hast du zerstört. Trotzdem setzte ich darauf, dass du mich genug kennst, um meinen Worten Glauben zu schenken. Wintrow ist nicht tot und scheint sich sogar zu erholen. Sobald er wieder gesund ist, wird er zweifellos zu dir kommen. Und dann werde ich nicht mehr zwischen euch stehen.«
    »Kennit!«, rief sie ihm nach, als er langsam weghumpelte.
    Als er zu der kurzen Leiter kam, die vom erhöhten Vordeck auf das Mittschiff führte, musste er sie umständlich hinunterklettern. Er legte die Krücke flach auf das Deck und krabbelte hinunter. Für einen Einbeinigen stellte das eine erhebliche Schwierigkeit dar, aber er schaffte es ohne Hilfe. Etta hätte eigentlich an seiner Seite sein sollen, aber sie pflegte Wintrow.
    Vermutlich zog sie jetzt ebenfalls die Gesellschaft des Jungen der seinen vor. Niemand schien es zu kümmern, wie sehr die Anstrengungen auf Anderland ihn selbst erschöpft hatten. Trotz des warmen Wetters hatte er von dem langen und anstrengenden Schwimmen eine Erkältung bekommen. Alle Muskeln und Gelenke in seinem Körper taten weh, aber keiner hatte Mitleid für ihn übrig. Denn Wintrow hatte Verbrennungen davongetragen, seine Haut war verunstaltet von dem Gift der Seeschlange.
    Wintrow. Er war der Einzige, den Etta und Viviace zu bemerken schienen.
    »Oh. Armer Pirat. Armer, bedauernswerter, ungeliebter Kennit.«
    Die Worte klangen sarkastisch und piepsig. Sie kamen von dem geschnitzten Amulett, das er an seinem Handgelenk trug.
    Er hätte die winzige, atemlose Stimme nicht einmal gehört, wenn er nicht gerade die Leiter hinuntergeklettert und seine Hand in Höhe seines Gesichts am Geländer gewesen wäre.
    Sein Fuß berührte das untere Deck. Er hielt sich mit einer Hand an der Leiter fest, während er seinen Mantel geradezog

Weitere Kostenlose Bücher