Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
und die Spitze seiner Manschetten ordnete. Wut loderte in ihm. Selbst das Hexenholzamulett, das er geschaffen hatte, wandte sich gegen ihn. Sein eigenes Gesicht in der geschnitzten Miniaturausgabe verspottete ihn. Er überlegte, wie er dem ekligen, kleinen Miststück drohen konnte.
Er hob die Hand, um seinen Schnurrbart zu glätten. Als das geschnitzte Gesicht dicht an seinem Mund war, bemerkte er ruhig: »Hexenholz brennt.«
»Fleisch auch«, erwiderte die winzige Stimme ungerührt. »Du und ich, wir sind genauso eng aneinander gebunden wie Viviace und Wintrow. Willst du vielleicht dieses Band prüfen? Du hast schon ein Bein verloren. Möchtest du gern ein Leben ohne Augen führen?«
Die Worte des Amuletts ließen dem Piraten einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Wie viel wusste es?
»Ach, Kennit, zwischen zweien wie uns gibt es nur wenige Geheimnisse. Nur sehr wenige.« Es antwortete mehr auf seine Gedanken denn auf seine Worte. Konnte es wirklich wissen, was er dachte, oder riet es nur geschickt?
»Da haben wir ein Geheimnis, das ich Viviace mitteilen könnte«, fuhr das Amulett erbarmungslos fort. »Ich könnte ihr sagen, dass du selbst keine Ahnung hast, was während deiner Rettung vor sich ging. Dass du in deinem Bett gelegen und gebibbert hast wie ein Kind, nachdem dein Hochgefühl verflogen war und Etta sich um Wintrow kümmerte.« Pause. »Vielleicht würde auch Etta das amüsant finden.«
Kennit blickte unwillkürlich auf sein Handgelenk und bemerkte das spöttische Lächeln auf dem Gesicht des Amuletts.
Kennit unterdrückte ein starkes Unwohlsein. Er würde dieses bösartige kleine Ding keiner Antwort würdigen. Er zog seine Krücke vom Vordeck und trat geschickt aus dem Weg, als einige Männer ein Segel ersetzten, das Jola nicht gefiel.
Was war tatsächlich geschehen, als sie Anderland verließen?
Der Sturm hatte gewütet, und Wintrow hatte bewusstlos, vielleicht sogar sterbend, auf dem Boden des Bootes gelegen.
Kennit war so wütend auf das Schicksal gewesen, das ihm seine Bestimmung entreißen wollte, als er so dicht davor war, sie zu verwirklichen. Er war in der Gig aufgestanden und hatte die Fäuste geschüttelt und dem Wind und dem Meer verboten, sich gegen ihn zu verschwören. Sie hatten nicht nur seinen Worten gehorcht, sondern die Seeschlange von der Insel war aus der Tiefe emporgestiegen, um die Gig mit dem Mutterschiff zu vereinen. Er stieß heftig die Luft aus und verweigerte sich der leichtgläubigen Furcht. Es war schon schwierig genug, dass seine Mannschaft ihn mit Blicken vergötterte und bei seiner kleinsten Missstimmung kuschte. Selbst Etta zitterte furchtsam unter seiner Berührung und sprach nur mit gesenktem Blick zu ihm. Manchmal jedoch verfiel sie wieder in Vertraulichkeiten, reagierte jedoch entsetzt, wenn sie es bemerkte. Nur das Schiff behandelte ihn so furchtlos wie immer. Und jetzt hatte Viviace ihm enthüllt, dass dieses Wunder sogar eine Barriere zwischen ihnen errichtet hatte. Er weigerte sich, ihrem Aberglauben zu unterliegen. Was auch immer passiert war, er musste es akzeptieren und weitermachen wie bisher.
Ein Schiff zu kommandieren bedeutete immer, dass der Kapitän ein einsames Leben führen musste. Niemand konnte sich mit dem Schiffskapitän auf eine Stufe stellen. Kennit hatte die Isolation seiner Arbeit immer genossen. Seit Sorcor das Kommando auf der Marietta führte, hatte auch er einigen Respekt Kennit gegenüber verloren. Der Vorfall im Sturm hatte jedoch Kennits Überlegenheit über Sorcor erneut gefestigt. Jetzt bedachte sein ehemaliger Stellvertreter ihn mit einem beinahe anbetenden Blick. Es war nicht die Ehrfurcht in ihren Augen, die Kennit so störte, sondern das Wissen, dass ein Sturz aus dieser Höhe ihn zerstören konnte. Selbst ein winziger Fehler konnte ihn jetzt diskreditieren. Er musste noch vorsichtiger sein als zuvor. Der Pfad, den er eingeschlagen hatte, war noch schmaler und steiler. Er setzte sein gewöhnliches Lächeln auf.
Niemand sollte seine Befürchtungen bemerken. Langsam humpelte er zu Wintrows Kabine.
»Wintrow? Hier ist Wasser. Trink.«
Etta drückte einen kleinen Schwamm über seinen Lippen aus.
Einige Tropfen fielen, und sie sah besorgt zu, wie die aufgequollenen Lippen sich öffneten. Seine dicke Zunge bewegte sich, und Etta sah, wie er schluckte. Danach rang er nach Luft.
»Ist das besser? Möchtest du mehr?«
Sie beugte sich hinunter und beobachtete ihn genau, wollte eine Reaktion erzwingen. Sie würde
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